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Handstrichziegelei Oberheu
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 Gisela und Wilhelm Oberheu vor dem Gebäude mit dem Brennofen,
welches seine Eltern 1931 errichteten. Im Vordergrund Hund Tizian

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Kunstgeschichtlich bedeutende Produktion
im Verborgenen - die Bordenauer Handstrichziegelei Oberheu
Bordenau (cha). An der hannoverschen Christuskirche
sind Baugerüste aufgebaut, denn umfassende Restaurierungsarbeiten sollen das etwas
baufällig gewordene Ziegelgebäude bald wieder in ursprünglichem Glanz erstrahlen
lassen. Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts etablierte sich die Backsteingotik auch im
Kirchenbau. Und mit dieser Stilrichtung ging eine besondere Ziegelformkunst einher. Über
den schlichten rechteckigen Ziegel hinaus, bildeten sich auch Hunderte von besonderen
Steinformen heraus, die bildhauerische Qualität haben. Sind diese kunsthandwerklich
hochwertigen Steinziegel beschädigt oder zerstört, ist der Ersatz schwierig und die
Hilfe von Wilhelm Oberheu unverzichtbar. Mit Maßband und Kamera ausgerüstet, klettert er
deshalb Über die Gerüste der Christuskirche. Der 1933 geborene Bordenauer dokumentiert
die Steinformen, die ausgetauscht werden müssen. Denn Wilhelm Oberheu ist Ziegelmeister
und im norddeutschen Raum der einzige, der auch diese ganz besonderen Steinformen brennen
kann, wie sie gerade in der Denkmalpflege meist benötigt werden. Bereits in der 4.
Generation betreibt er in der Forst des Rettmerberges zwischen Bordenau und
Schloss Ricklingen eine Ziegelei. Das Verfahren hat sich in den rund 140 Jahren seit Bestehen des
Betriebes nicht wesentlich geändert. Es ist Handarbeit im reinen Wortsinn und sogar im
Firmenlogo ist mit Stolz vermerkt, dass es sich um eine "Handstrichziegelei"
handelt. Zwar wird nicht mehr mit dem sogenannten "Deutschen Ofen" gebrannt, aus
dem der Rauch einfach so durch das Dach quoll. Vielmehr bauten seine Eltern Emma und
August Oberheu einen stattlichen Brennofen, dessen Mauern gut 150 cm dick sind und dessen
30 Meter hoher Schornstein noch heute weit Über die Bäume des Waldes hinausragt. Mit
rund 6 Tonnen elsässischer Kohle pro Brand befeuert, erzielt dieses Verfahren die
wunderschöne und unnachahmliche Ziegelfärbung. |
Am Wochenende
sitzt Wilhelm Oberheu mit Papier und Bleistift bewaffnet in seinem Büro. Die Maße der
Holzformen müssen errechnet werden, in welche während der Produktion das Gemisch aus
Ton, Sand und Wasser gepresst wird. Denn für jede Ziegelsteinform wird eine spezielle
negative Holzform getischlert. Mit Schwung werden Oberheus kräftige Mitarbeiter Mike
Drämert und Hassan Bollow später die schwere Masse in diese speziell angefertigten
Formen werfen. Der Ton muss vor allem die Ecken des Hohlraums vollständig ausfüllen.
Dann wird in die Mitte der Tonmasse ein Loch gebohrt und wiederum das Tongemisch
hineingepresst, um später einen wirklich kompakten Stein zu erhalten. Überschüssiges
Material wird mit einem Holz oder mit der Hand weggestrichen. |
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Der fertig geformte Ziegel
wird schließlich aus der Holzform herausgestoßen und anschließend für die Trocknung
gestapelt. Lufttrocknung wäre zu langwierig, deshalb unterstützen Gaswärme und
Ventilatoren im Trockenschuppen den langsamen Wasserentzug. Läuft dieser
Prozess zu
schnell ab, reißt der Ton und die Steine sind unbrauchbar. Durch den Wasserverlust
verringert sich natürlich auch das Maß des Ziegels. Eine Eigenschaft, die Wilhelm
Oberheu in seinem Büro bei der Abmessung der Holzform mit einrechnen muss, wobei ihm
seine umfangreiche Erfahrung zugute kommt. Kaum ein historisches Backsteingebäude
zwischen Langeoog und Kassel kommt bei der Restaurierung ohne Oberheus Spezialziegel aus.
Ob man die Hamburger Collonaden entlangbummelt oder durch den hannoverschen Hauptbahnhof
hastet, ob man die Ludgerikirche in Norden bewundert oder die Liebfrauenkirche in
Neustadt. Ohne Wilhelm Oberheus handwerkliches Können wäre die Restaurierung nicht so
gelungen. Aber auch in Bordenau gibt es zahlreiche Backsteingebäude, die mit Oberheus
Ziegeln gebaut wurden. Allerdings sind es normale Steine im sogenannten Klosterformat.
Denn bis 1963 arbeitete die Ziegelei konventionell und lieferte bis dahin den schlichten
rechteckigen Steinbedarf für die zahlreichen Backsteingebäude des Dorfes. Schließlich
war der Transport der gewichtigen Ziegel in früheren Jahren nicht so einfach zu
realisieren, wie heute. Gisela Oberheu, die nicht nur die Buchhaltung fest im Griff hat,
sondern sich auch mit der Geschichte der Ziegelei umfassend beschäftigt, stellte bei
ihren Recherchen fest, dass vor 150 Jahren eigentlich jedes Dorf entlang der Leine eine
kleine Ziegelei hatte. Der Ton für die Produktion fand sich in der
Leinemasch. Heute
hingegen kommt er für die Bordenauer Ziegelei entweder aus Stedesdorf bei
Verden. Diese
Erde brennt rot. Oder die gelbbrennende Sorte wird benötigt, dann steht eine Fahrt nach
Duingen bei Alfeld an. |
Seit
142
Jahren ist die Herstellung von Tonziegeln in der Familie Oberheu der Haupterwerbszweig.
Nur durch die Weltkriege unterbrochen, wurde produziert und durch Fleiß und Geschick
konnte es bereits Wilhelm Oberheus Urgroßvater zu etwas Wohlstand bringen. Im
Volksmund wurde er "der Krumme" genannt, weil die harte körperliche Arbeit an
der Haltung gezehrt hatte. |
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Die Geschichte seiner Nachfahren geht wechselvoll weiter, denn
viele Frauen sterben früh und auch die Mutter des heutigen Ziegeleibetreibers starb im
Kindbett. Alleine konnte Wilhelm Oberheus Vater August den Betrieb nicht halten und
arbeitete ab 1938 als Schlosser bei der Hanomag, was ihn 1939 davor bewahrte in den Krieg
zu ziehen, da er als Arbeiter in der Rüstungsindustrie nicht abkömmlich war. 1951
beschlossen Vater August und Sohn Wilhelm, den Ziegeleibetrieb wieder aufzunehmen.
Doch1955 erlitt Wilhelm Oberheus Vater einen Schlaganfall und der 22jÄhrige Sohn
musste
sich ab diesem Zeitpunkt alleine um den Betrieb kümmern. Gesteigerte maschinelle
Produktionsmöglichkeiten in der Ziegelfabrikation machten Oberheus Handwerk immer
unrentabler. Nach der Heirat mit Gisela Schnittker 1961 und der Geburt von Tochter Susanne
im darauffolgenden Jahr war ein gesicherter Lebensunterhalt mit der traditionellen
Produktion in Bordenau nicht mehr zu erwirtschaften. Deshalb arbeitete Wilhelm Oberheu ab
1963 gezwungenermaßen in der Stöckener Ziegelei. Dennoch hegte er weiterhin den Traum
einer eigenen Ziegelei und 1972, inzwischen Ziegelmeister, ergriff er die einmalige
Gelegenheit, sich in der Nische Denkmalspflege zu etablieren. In diesem Jahr wurde die
Bundesbahndirektion in der hannoverschen Joachimstraße restauriert. Die ausgefeilten
Formen des gelben Klinkers waren in den industrialisierten Produktionsstraßen der
Ziegelindustrie nicht mehr herzustellen und die Chance für die kleine Bordenauer
Ziegelei. Denn Wilhelm Oberheu konnte den gelb brennenden Ton so formen und verarbeiten,
wie es auch bei den ursprünglichen Ziegeln aus der Bauzeit des Gebäudes getan wurde.
Ehrensache, daß auch die Wände des hannoverschen Hauptbahnhof anstelle von
Einschusslöchern des Krieges heute hier und da einen Oberheu - Ziegel zur Vervollkommnung
des Gesamteindruckes enthalten. Über eine schlechte Auftragslage können Gisela und
Wilhelm Oberheu nicht klagen. Gerade erst erschien ein Artikel in der evangelischen
Kirchenzeitung, denn so manches christliches Andachtshaus wird mit Firststeinen aus der
Leinemasch gekrönt. Und zerstörte Fenster bekommen mit den Sohlbanksteinen aus Bordenau
wieder den notwendigen Halt. Gleich nach dem Niedersachsentag wurde in Nienburg die St.
Martinskirche eingerüstet. Keine Frage, dass jetzt gerade die Ziegel aus dem Brennofen in
der Forst des Rettmerberges kommen. Nun liegen die Steine, die etwa drei Wochen bei der
höllischen Temperatur von 1050°C gebrannt werden und im Anschluss mindestens eine Woche
wieder abkühlen, in der wunderschönen Waldlichtung des Oberheuschen Grundstücks. Und
bevor sie ihren endgültigen Platz in der historischen Backsteinkirche einnehmen werden,
betrachtet abends ab und zu ein Reh mit Kitz die Steine und auch Ziegeleihund Tizian dreht
seine Runde um die aufgeschichteten Steine. Aber für ihn ist das sehr selten gewordene
Handwerk Alltag. |
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