Rechthaben Hochverehrte Leserschaft!Wir hatten nicht nur eine wunderbare und gelungene sogenannte Generalprobe für die Szenische Lesung von Goethes Faust am 3.Oktober, sondern blicken am heutigen Mittwoch, dem 27.9.2000, auf zwei besondere Veranstaltungen. Um 17.00 Uhr zeigen wir in der Scharnhorstschule zu Bordenau – im Rahmen der Bordenauer Faustfestspiele wäre zuviel gesagt – den Videofilm der Faustinszenierung mit Will Quadflieg und Gustav Gründgens von 1960. Jetzt können wir uns die Meister auch gerne angucken, wo wir selbst etwas mehr von Faust verstanden haben. Unser Verständnis wird noch wachsen, wenn um 20.00 Uhr am gleichen Ort Elisabeth Englisch-Terbuyken über die Geschichte und Aktualität des Fauststoffes referieren wird. Dabei geht auch um den Begriff des Faustischen, den faustischen Menschen, das faustische Streben und den großen Widerpart Mephisto, den Gott der Fliegen, den Inbegriff des Diabolischen und des Nihilismus. Das Verhältnis dieser beiden Figuren, ihre gegenseitige Einflußnahme und Machtfragen waren in den jeweiligen Inszenierungen abhängig von historischen Sichtweisen. Frauke Hohberger als Bordenauer Mephisto und Peter Mürmann als Faust werden am 27.9.2000 eine Textstelle in drei verschiedenen Varianten vortragen, erst sind die beiden Figuren balanciert, dann mal Faust, mal Mephisto stärker: „ Faust: Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.- Mephisto: Ja, wenn man`s nicht ein bißchen tiefer wüßte. Denn morgen wirst, in allen Ehren, das arme Gretchen nicht betören und alle Seelenlieb` ihr schwören? – Faust: Und zwar von Herzen. –Mephisto: Gut und schön! Dann wird von ewiger Treu` und Liebe, von einzig überallmächt`gem Triebe – Wird das auch so von Herzen gehen? - Faust: Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde, für das Gefühl, für das Gewühl nach Namen suche, keinen finde, dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife, nach allen höchsten Worten greife, und diese Glut, von der ich brenne, unendlich, ewig, ewig nenne, ist das ein teuflisch Lügenspiel? – Mephisto: Ich hab` doch recht!- Faust: Hör! Merk dir dies – ich bitte dich und schone meine Lunge -:Wer recht behalten will und hat nur eine Zunge, behält`s gewiß. Und komm, ich hab des Schwätzens Überdruß, denn du hast recht, vorzüglich weil ich muß." (Aus Teil I, Szene auf der Straße, ab Zeile 3050) Direktor Hochverehrte Leserschaft!Beim Bordenauer Faust am 3.Oktober 2000 gibt es ein Vorspiel auf dem Theater, in dem der Direktor sich auch über das zu erwartende Publikum äußert: „Ich wünschte sehr der Menge zu behagen, besonders weil sie lebt und leben läßt. Die Pfosten sind, die Bretter aufgeschlagen, und jedermann erwartet sich ein Fest. Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen, gelassen da und möchten gern erstaunen. Ich weiß, wie man den Geist des Volks versöhnt; doch so verlegen bin ich nie gewesen: zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt; allein sie haben schrecklich viel gelesen. Wie machen wir`s, dass alles frisch und neu und mit Bedeutung auch gefällig sei? Denn freilich mag ich gern die Menge sehen, wenn sich der Strom nach unserer Bude drängt und mit gewaltig wiederholten Wehen sich durch die Gnadenpforte zwängt, bei hellem Tage, schon vor vieren, mit Stößen sich bis an die Kasse ficht und, wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, um ein Billett sich fast die Hälse bricht.“ Herr Direktor, erlauben Sie eine Zwischenfrage: beim Bordenauer Faust gibt es zwei verschiedene Kartenformen? „ Ja, es gibt die sogenannte Unterstützertageskarte für 10,-DM, da kann man den ganzen Tag herein, auch unterbrechen. Bei großem Andrang könnten dann die Sitzplätze knapp werden. Dafür gibt es nummerierte Sitzplätze vorne an der Lesebühne für FAUST I von 7.00 Uhr morgens bis ca. 12.00 Uhr in zwei Abschnitten zu je 10,-DM und für FAUST II ab ca. 12.00 Uhr in entsprechenden drei Zeitabschnitten bis 21.00 Uhr. Es gibt aber genug Pausen, um sich zwischendrin zu stärken, dafür halten wir im Dorfgemeinschaftshaus 1.875 Getränke und viele Hunderte Leckereien, herzhaft und süß, für unsere geneigte Zuhörerschaft bereit.“ – Was glauben Sie, macht Ihr Publikum nach dem Besuch der Lesung? „Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel, der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.“ Und wird das Publikum zufrieden sein ?- „Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen. Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus. Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen; und jeder geht zufrieden aus dem Haus.“Mürmann
Porträt Hochverehrte Leserschaft!Es ist schon eine kleine Sensation, wenn sich am 3.
Oktober in Bordenau der Vorhang hebt und
70 Mitbürger aus der gesamten Region sich daran machen, den ganzen Text
von Goethes „Faust“ szenisch vorzutragen. Unter ihnen nicht nur Frauke
Hohberger als Mephisto und Alexander May als Kaiser im 2.Teil, sondern auch
Peter Mürmann als titeltragender Faust. Peter Mürmann ist vielen Neustädtern
schon als Texter und Regisseur verschiedener Musicals der Musikschule bekannt.
Er lebt und arbeitet nach einer Schauspielerausbildung als freischaffender Künstler
im Bereich Theater, Fotografie und Malerei. Er leitet die Kunstschule in
Schwarmstedt und hat verschiedene Rezitationsprogramme durchgeführt. Eine der
wichtigsten Arbeiten war „Platero und ich“ zusammen mit Matthias Kotucha;
dabei schätzt er das Zusammenwirken der Menschen, die sich auf ein künstlerisches
Projekt einlassen. Wie kam er zum Bordenauer Faust? „Ein Verrückter rief an
und meinte, er möchte 70 Menschen zu Goethes Faust zusammenbringen.“ Für Mürmann
sei es eine Herausforderung in die Tiefe zu gehen, „man meint, man kennt es,
kennt es doch nicht, das hat dann auch etwas mit Bildung zu tun; und wenn mich
dereinst Petrus fragt: Haste den
Faust gelesen? Dann sag ich: Jaaa!“ Auch Goethes Sprache bildet eine
Herausforderung für Peter Mürmann. „Beim normalen Sprechen, dünkt mir, bin
ich Goethes Sprache abhold.“ Und dann wird er plötzlich doch sehr faustisch: Tierisches Hochverehrte Leserschaft!Jetzt wird es aber langsam eng mit der ganzen Leserei: am Wochenende geht bei den Eheleuten Korte in der Hans-Zühlke-Straße 3 in Bordenau der Büchergarten weiter. Neben dem Internetcafe und den vielen tollen alten Büchern dreht sich in den Lesungen um jeweils 15.00 Uhr diesmal alles um die liebsten Freunde des Menschen, die Tiere. Und am Sonntag ab 12.00 Uhr kann man auf Ehlers Hof bei den Bordenauer Landfrauen alles „Rund um die Kartoffel“ erfahren und alte und neue Rezepte lesen; und so wie man bei Kortes schönen Büchern Wein und Käse genießen kann, füllt sich bei Ehlers der Magen mit Kartoffelpuffern, -suppen, -torten, -kuchen, mit Brat- und Pellkartoffeln; dabei erfährt man allerlei Interessantes , eben rund um die Kartoffel. Hier halten wir uns ans Erlesen-Kulinarische und erzählen eine kleine Geschichte aus Alice Herdan-Zuckmayers „Farm in den grünen Bergen“: Ich stand an der Abwasch, mit dem Rücken zur Küchentür, und ließ das dampfende Wasser ins Waschbecken fließen. Plötzlich wurde die Küchentür aufgestoßen, zwei Lawinen von Schnee und Eis wälzten sich in die Küche und zermalmten alles. Das Splittern des Glases und mein schrilles Geschrei jagte die Hunde, die wie eine Naturkatastrophe über meine Küche hereingebrochen waren, wieder zur offenen Tür hinaus, aber der Schreck ließ sie noch schnell den Küchenboden in einen See verwandeln. In wenigen Sekunden hatten sie alle sechsunddreißig Gläser zu Scherben zerschlagen. Als Zuck(mayer) einige Minuten später in die Küche kam, durch die Hundelachen watete und vor dem Glassplittermeer stand, saß ich auf dem Küchenstuhl und hatte meine seifenschaumbedeckten Hände friedlich auf der Küchenschürze gefaltet. Mir war so abgeklärt zumute wie nach einem überstandenen Hurrikan. „Ich bin sehr froh“, sagte ich, “dass die Gläser noch nicht gewaschen waren.“ Wo soll ich also hingehen? Am besten Samstag in den Büchergarten, Sonntag zur Kartoffel und eine musikalisch-literarische tierisch-allzutierische Veranstaltung gibt es am nächsten Mittwoch, dem 13. September auch ab 19.30 Uhr in Mariensee. Jetzt reicht`s aber! Frauke
Hohberger - MEPHISTO Hochverehrte Leserschaft!Am nächsten Wochenende laufen in der Bordenauer Turnhalle die Hauptproben für die Szenische Lesung des „Bordenauer Faust“ am 3.10.2000. Heute portraitieren wir Frauke Hohberger als Mephisto und übernächste Woche Peter Mürmann als Faust. Frauke Hohberger lebt seit über zwei Jahren im Neustädter Land - als freiberufliche Künstlerin; dabei betätigt sie sich im Bereich Musik und Theater, genauer mit Stimme und Percussion. Sie führt Kurse für Trommeln und Rhythmus für Kinder und Erwachsene durch, ist Mitglied des Vocaltheaters NAVOCA und der Sambaband „Samba da Minha Aba“, leitet Musicals und Revuen innerhalb der Stadtteilkultur Hannover, betreut die Koala-Bären-Homepage und ist Autorin der Kinderbücher „Zirkus Konfetti“ und „Das große Tamtam“. In diesen Büchern zeigt sie ihre Meisterschaft als Grenzgängerin der Künste, denn die Bücher kommen aus der spielpädagogischen Praxis und bringen deren Leser wieder in spielerische Aktionen hinein. Dass sie als Frau den Mephisto liest, stört sie nicht: „Mephisto ist für mich eine übergeschlechtliche Figur. Zwar gibt es immer wieder auch Szenen, in denen das Männliche im Vordergrund steht, doch geht es mehr ums Prinzip des herausfordernden Mephisto, der oft viel vitaler den nachdenklichen Faust ins wirkliche Leben führen will.“ Den „Faust“ hatte sie vorher noch nicht gelesen; darin sah sie allerdings eine besondere Chance, sich dem Stoff anzunähern: „Vom ersten Moment an faszinierte mich der Text, und das wird immer stärker. Manchmal haben wir fünf, sechs Stunden geprobt, du denkst, das war`s für heute und eine Stunde später greifst du schon wieder danach, um eine bestimmte Stelle nachzuschlagen.“ Lieblingsstellen? „Finstere Galerie im zweiten Teil, da geht es um den Weg Fausts zu den Müttern, die schlotternden Lemuren bei der Grablegung Fausts und der Schluss, aber davon sei hier noch nichts verraten“ Und dass diese Szenische Lesung nur einmal stattfindet? „Gerade in dieser Einmaligkeit liegt das Besondere!“ Buchwandeln Hochverehrte Leserschaft!Zwischen Grass und Goethe der Garten, genauer der Büchergarten der Eheleute Johanna und Manfred Korte in der Hans-Zühlke-Str.3 in Bordenau. Büchergarten bedeutet an vier Wochenenden vom 26.August an, jeweils samstags ab 14.00 Uhr und sonntags ab 11.30 Uhr Buchwandeln in natürlicher Umgebung und neben Wein und Käse literarische Köstlichkeiten genießen. Hier finden Sie Bücher, die aus vielerlei Gründen die Zeiten überdauert haben. In kalten Zeiten wurden sie nicht verheizt, auch den Feuern der nichtlesenwollenden Fanatiker sind sie nicht zum Opfer gefallen. Hier können Sie schauen, stöbern, Ihre Lieblingslektüre suchen, ein ruhiges Plätzchen dazu, und dann können Sie lesen und lesen und lesen. Lassen Sie sich verzaubern von überalterten, humorvollen, angerauten Texten, romantischen Gedichten: fühlen Sie wohltuende Stille! Und jeweils um 15.00 Uhr gibt es Lesungen für Menschen, die lieben, für junge Menschen und Kinder, für Menschen, die Tiere lieben und den Herbst. Am 2./3.September gibt es literarisch-musikalische Kinderstücke mit Karin Glade, Kathrin und Rolf Göhring sowie Gisela Scheidweiler. Und am nächsten Wochenende beginnen die Geschichten und Gedichte über die Höhen und Tiefen der Liebe. Wir bringen hier ein Gedicht von Erich Fried, der auch schon in unserem Neustadt gelesen hat: „Grenze der Verzweifelung. Ich habe dich so lieb, dass ich nicht mehr weiß, ob ich dich so lieb habe oder ob ich mich fürchte, ob ich mich fürchte zu sehen, was ohne dich von meinem Leben noch am Leben blieb. Wozu mich noch waschen, wozu noch gesund werden wollen, wozu noch neugierig sein, wozu noch schreiben, wozu noch helfen wollen, wozu aus den Strähnen von Lügen und Greueln noch Wahrheit ausstrählen ohne dich? Vielleicht doch weil es dich gibt und weil es noch Menschen wie du geben wird, und das auch ohne mich.“ Und noch ein weiteres, eher neuzeitliches Angebot befindet sich im Büchergartenkeller: hier spannt sich der Bogen aus der Zeit der Buchdruckerkunst bis ins 21.Jahrhundert. Zwischen Wolf Goethe und Bill Gates das Internet-Cafe von und mit Klaus Detering, kurz „de“ genannt, der die vorzüglich gepflegte Heimatseite, neudeutsch homepage Bordenaus unter www.Bordenau.de, detreut, Entschuldigung betreut. Jeppe Hochverehrte Leserschaft!Am kommenden Wochenende steht er wieder auf der Bühne in Otternhagen, dieser Jeppe, der auf seinen Namen so stolz ist: „Vom Berge“ heißt er, wie ein richtiger Adliger, wie sein Herr Baron, der oben im Schlosse sitzt und über das Dorf herrscht. Wenn Jeppe am Anfang des Stückes verkatert und unausgeschlafen die Szene betritt und die große Diskutiererei mit seiner Frau losgeht, fragt man sich, was das denn für ein Kerl sein mag. Sicher, es ist ein sympathischer Typ, eine ehrliche Haut und ein kluger Kopf allemal – aber er hat sich auch seine eigene Philosophie zurechtgelegt und die heißt: Das Leben ist viel zu schön, um es mit Arbeit zu vertun. Schließlich arbeitet der Baron ja auch nicht. „Ach Herr“, rechtfertigt er sich, als der Baron ihn wieder einmal zur Rede stellen will, „wenn ich beim Angeln sitze und mir die Sonne den Rücken wärmt und mir der Holunderduft in der Nase prickelt, dann bin ich den ganzen Tag vollauf beschäftigt. Da bleibt mir für die Arbeit gar keine Zeit übrig.“ Das Schlimmste aber ist natürlich seine Trinkerei. Alle hacken auf ihm herum und so träumt er davon, irgendwann einmal ein anderer Mensch zu sein. In der wohl geordneten dörflichen Welt kann das auf Dauer natürlich nicht gutgehen. Der Baron und seine Leute wollen mit Jeppe ein Exempel statuieren, das ihn auf den richtigen Weg führen soll. Dieses großartige Exempel entpuppt sich aber als ein ziemlich albernes Theater, in dem die Bediensteten des Hofes den volltrunkenen Jeppe in das Bett des Barons verfrachten und ihm vorspielen, Jeppe sei der Baron. Jeppe beginnt zu zweifeln. „Wer bin ich wirklich? Ich dachte immer, ich sei Jeppe – und nun wache ich auf und bin Baron.“ Schließlich akzeptiert er seine neue Rolle. „Wer kann denn überhaupt wissen, wer er wirklich ist?“, fragt er sich und ergibt sich in sein Schicksal. Und nun erlebt er eine rätselhafte, schlimme Wandlung: aus dem fröhlichen, gutmütigen Jeppe wird ein rücksichtsloser, herrschsüchtiger Baron,... „Ich habe mich selbst gesehen.“ Wirklichkeit oder Traum, hat Jeppe mitgespielt oder ist ihm nur mitgespielt worden ? Vielleicht ist er am Ende des Stückes doch ein anderer geworden? Aber nur vielleicht? Rezitationsvarianten Hochverehrte Leserschaft!Wir führten ein Gespräch mit Martin Drebs, dem Leiter des Projekts BORDENAU – UNSER DORF LIEST über die nächsten Vorhaben: NZ: Sie fahren am nächsten Wochenende mit einer Delegation zu Günter Grass auf die dänische Insel Mön. Am Dienstag, dem 3.10.2000, findet dann in Bordenau die Szenische Lesung des gesamten Textes FAUST I und II von J.W.v.Goethe statt. Zwischen Grass und Goethe dann der Garten, der Büchergarten beim Ehepaar Korte. Martin Drebs: Über das Angebot und Programm des Büchergartens werden wir in einer der nächsten Ausgaben berichten. Auf Grass freuen wir uns natürlich. Und die Vorbereitungen auf den „Bordenauer Faust“ laufen auf Hochtouren. Manche sagen, es sei ja nur eine Szenische Lesung. 70 Mitbürger aus Bordenau, dem Neustädter Land und dem Landkreis Hannover werden von 7.00 bis 21.00 Uhr den Text vorlesen, aber nicht nur einfach so. Es treten Projektionen dazu von Radierungen der WERKSTATT BORDENAU und extra eingerichtete Kompositionen von Daniel Kosmalski. Und wir bringen den Text nach vorne, angemessen würdig und heiter, der Hörgenuss kommt bei uns aus den vielen Varianten, einen Text vorzutragen: neben der Arbeit an der Identität der Rolle sind das zum Beispiel: laut -leise, alt - jung, nah – entfernt, gekünstelt – Mundart. Die Himmlische Heerschar bei der Rettung Fausts wird sehr schön gesungen, der Obergeneral beschreibt das Kriegsgeschehen im Stile einer Reportage, Euphorion, Helenas und Fausts Kind wird wie entschwebend angerufen, der künstliche Mensch Homunkulus hat eine Roboterstimme, die Chöre setzen rezitatorisch ihre besondere Bedeutung um bis hin zur klangvollen Sinnaufhebung durch einen der betrunkenen Studenten in Auerbachs Keller. Und dann erst Frauke Hohberger als Mephisto, kokett, teuflisch, listig, vital, ironisch, um seinen Erfolg bangend. Und Peter Mürmann als Faust: glaubwürdig, ernsthaft, verzweifelt, welterobernd, besorgt, ängstlich... Kommen Sie doch, schließen Sie die Augen und überzeugen Sie sich: ein Narr kann einen Stein ins Wasser werfen und hundert Weise bekommen ihn nicht mehr heraus. Mußmann Hochverehrte Leserschaft!Heute berichtet im Gastkommentar Stadtschreiber Willy Mußmann über Probleme und Chancen bei der Verschriftlichung des Gesprochenen und einige Kuriositäten der Rechtsschreibreform: „Bücher und Schrift sind nicht nur aus den Gedanken und Träumen der Dichter über die Stifte zu Papier gebrachte Zeichen, sie sind auch der Versuch, eine Verschriftlichung des Gesprochenen vorzunehmen. Davon kann ich als „Stadtschreiber“ ein besonderes Lied singen. Meine Aufgabe besteht darin, gesprochene Worte in eine solche Form zu bringen, dass es für jedermann verständlich und zum Wohle der Stadt für die Nachwelt festgehalten werden kann. Mit großer Inbrunst und Akribie widme ich mich dabei dem Konjunktiv II, jenem letzten sprachlichen Rest des Utopischen. Man stelle sich einmal vor, welche Formulierungen in ein Protokoll gelangen könnten: „Wir hatten eine neue Verordnung gewagt haben können; wir sprächen Anerkennung aus, wenn...; wir böten die Gelegenheit; wir hätten die Befürchtung und verlören...; er gab vor, er kennte ihn und wir gaben ihm Recht.“ Mit der strikten Anwendung der Regeln schaffen wir dann die Basis der Grundlage für das Fundament....und dann ist da noch die Rechtschreibreform – das wäre allein kein Grund zur Veranlassung, wenn nicht folgender Satz protokolliert werden könnte – und müsste: In Kenntnis der Schussschwäche legte er den Messstab im Kongresssaal an und steckte die Klemmmappe mit der Kontrollliste aus der Passstelle als Verschlusssache in einen Presssack aus Krepppapier, wobei er in dieser Stresssituation und Nulllage Nussschokolade mit Delikatesssenf genoss und sich dann der Flussschifffahrt zuwandte.“ Danke Willy Mußmann, ähem Mussmann. Chmièl
die2. Hochverehrte Leserschaft!Sie kam, sah und tanzte lesend, las tanzend aus ihrer Autobiographie: Manja Chmièl, 78jährige Tänzerin und Tanzlehrerin aus Hannover. In dem von Leni Höyns, Waltraud Nagel und Vera Urich durch Feldblumensträuße gestalteten Seminarraum der Scharnhorstschule zu Bordenau drängten sich über 60 Fans, Freunde und interessierte Fremde. Und schon durch die historischen Videoeinspielungen wurde klar: hier sollten die Zuhörer einer außergewöhnlichen Frau begegnen, einer in der Tschechei geborenen Kaufmannstochter, die ihr ganzes Leben dem Tanz gewidmet hatte. Und so spann sie den Lebensbogen von unbeschwerter Kindheit über Kriegselend, Flucht und Verfolgung bis zu ihrem engagierten Lebensbekenntnis. Da bewegte sie sich und das Publikum mit ihrer Mutter mit beim Einüben der verschiedenen Geschwindigkeiten großer und kleiner Uhren, fieberten die Zuhörer mit aus einem Versteck bei der Beobachtung tanzender Russen und klatschten spontan Beifall, als Manja Chmièl den Männern – fast allen Männern – vorhielt, die Schöpfung seit Jahrtausenden zu beschädigen. Während ihrer zweistündigen absolute Präsenz einer brillant akzentuierten Lesung spürten man auch die sensible Frau und verhinderte Mutter hindurch. Ihr Verleger versprach die Veröffentlichung ihres Buches „Ich wählte den Tanz“ im Oktober dieses Jahres und Veranstalter Martin Drebs versuchte den Abend mit einem Gedicht von Ossip Mandelstam abzurunden, das einige Besucher in der überbordenden Freude über den gelungenen Abend als etwas zu schwierig empfanden. Auf vielfachen Wunsch passt es hier vielleicht ja besser: „ Man gab mir einen Körper – wer sagt mir, wozu? Er ist mein, nur er. Die stille Freude: atmen dürfen, leben. Wem sei der Dank dafür gegeben? Ich soll der Gärtner, soll die Blume sein. Im Kerker Welt, da bin ich nicht allein. Das Glas der Ewigkeit – behaucht: mein Atem, meine Wärme drauf. Die Zeichnung auf dem Glas, die Schrift: du liest sie nicht, erkennst sie nicht. Die Trübung, mag sie bald vergehn, es bleibt die zarte Zeichnung stehn.“ Probenwoche Hochverehrte Leserschaft!Noch knapp 80 Tage bis zum BORDENAUER FAUST am 3.Oktober 2000 in der Turnhalle in Bordenau, die zu diesem Zwecke in einen magischen Theaterraum verwandelt wird. Die Vorbereitungen laufen: „So schreitet in dem engen Bretterhaus den ganzen Kreis der Schöpfung aus und wandelt mit bedächt`ger Schnelle vom Himmel durch die Welt zur Hölle“. Neben den vielen Proben ist auch der Vorverkauf angelaufen, „wenn sich der Strom an unsere Bude drängt, mit Stößen sich bis an die Kasse ficht und , wie in Hungersnot um Brot an Bäckertüren, um ein Billett sich fast die Hälse bricht,“ so der Theaterdirektor am Anfang von „Faust“. Letzte Besetzungslücken konnten geschlossen werden; so fanden sich vier Junge Erwachsene aus Bordenau, die nun die Studenten in Auerbachs Keller lesen werden und sich dabei an dem von Mephistopheles herbeigezauberten Wein laben können. Überhaupt die vielen Ideen, die bei dieser Szenischen Lesung dazutreten: In der Domszene kommen echte gregorianische Gesänge zu Gehör, Lynkeus, der Türmer, spricht seinen Text oben von der Leiter weit hörbar in den Raum, die Gärtnerinnen treten mit echten Blumen auf, das Dorftheater Poggenhagen, das die Klassische Walpurgisnacht gestaltet, arbeitet an einer Kostümfassung von langen Gewändern in allen Farben des Regenbogens, die Sirenen werden durch vier im Raum verteilte Stimmen intoniert. Die kriegsbegeisterten Gewaltigen, Gehilfen des Teufels im Kampf gegen den Gegenkaiser, werden von einem Mitwirkenden gelesen: drei Lebensalter von Jugend, Alter und Greis in einer dynamischen Rezitation. Als Faust schließlich erblindet, da....undundundund. Nach einer Durchlaufprobe des gesamten Textes am Sonntag an einem geheimen Ort laufen in dieser Woche intensive Proben in der Turnhalle, schauen Sie mal rein! Schlink Hochverehrte Leserschaft!Bernhard Schlink war da! Kennen Sie Bernhard Schlink nicht? Macht nichts ! Es handelt sich um den zur Zeit meistgelesenen zeitgenössischen deutschsprachigen Autor. Sein wunderbares und nachdenklich stimmendes Buch „Der Vorleser“ wurde bereits in über 25 Sprachen übersetzt. In Amerika erreichte er nach dem Besuch einer tore- und ohrenöffnenden Talkshow sensationell hohe Auflagen. „Der Vorleser“ soll demnächst auch verfilmt werden. Dazu ist Bernhard Schlink Jura-Professor. Ein vollbeschäftigter Mann also! Jetzt war er da! Still und unauffällig! Er wollte ein Versprechen einlösen. Denn vor vier Jahren hörte er von den lesenden Dörfern. Im Nordkreis und in Bordenau lasen die Lesekreise den damaligen Geheimtipp „Der Vorleser“. Schlink begeisterte sich dafür und sagte spontan einen Besuch zu. Jetzt hat er sein Versprechen eingelöst. Ohne großes Aufsehen! Danke Bernhard Schlink! Wir zitieren hier eine kurze Passage aus seinem neuen, bei Diogenes erschienenen Buch: „Liebesfluchten“, in dem er sich wieder als brillanter Erzähler erweist: „Es war wie ein Traum, und später habe ich mir manchmal gewünscht, es wäre wirklich nur ein Traum gewesen. Sie saß auf dem Rand der Matratze. Ich wollte fragen „Was ist los?“, aber als ich ansetzte, machte sich „Schsch“ und berührte meinen Mund mit den Fingern. Ich sah sie an und konnte in der Dunkelheit ihr Gesicht nicht deuten. Ein bisschen Helligkeit fiel auf seine linke Seite, leuchtete auf der Wange und glänzte im Auge. Sie trug ihr Haar offen, es ließ den Hals links frei und fiel über die rechte Schulter nach vorne. Mit der linken Hand hielt sie den Morgenmantel vor der Brust zusammen, und mit der rechten mahnte sie meinen Mund, nicht zu sprechen. Ich fragte mich, ob sie sah, was in mir vorging. Paula, die Frau meines Freundes Sven – die Frauen der Freunde sind unbegehrbar, unberührbar, und mit ihnen flirten ist wie der flirt mit der kleinen Schwester oder einer alten Dame, ein Spiel, das nie ernst wird. Nicht dass es zwischen Paula und mir nicht Berührungen, Umarmungen, gemeinsames Lachen, Augenblicke des Einverständnisses und der Vertrautheit gegeben hätte, in denen ich mir vorstellen konnte , sie zu lieben." Mön
und Grass Hochverehrte Leserschaft!Kaum sind die Scharnhorstbriefe verlesen, Manja Chmièls tänzerische Autobiografie am 11.Juli noch vor uns, da erwartet uns lange vor dem Bordenauer Faust am Tag der poetischen – oh pardon –deutschen Wiedervereinigung bereits ein weiteres besonderes Highlight, zu deutsch Hochlicht: Günter Grass liest am 12.8.2000 ab 15.00 Uhr aus seinem Buch „Ein weites Feld“. Leider nicht im Dorfgemeinschaftshaus, sondern auf der Insel Mön, dänische Partnergemeinde von „Unser Dorf liest“. Zum deutschen Literaturnobelpreisträger brauchen wir wohl nicht mehr viel zu sagen (siehe den Gastkommentar von Reisch-Ranitzki in dieser Zeitung am 8.12.99). Mehr noch sollten wir über Mön sagen, auf der Marianne und Niels einer Vordelegation Anfang Juni ein herzliches Willkommen erwiesen und uns die Schönheiten der Insel zeigten. Damit treten wir kurz in die Gattung der Reiseliteratur ein: Marianne, Leiterin der Bibliothek, und Niels, Vorsitzender des Kulturausschusses, holten uns am Nachmittag des zweiten Tages ab. Das Wetter hatte sich überraschend mediterran entfaltet – Marianne sprach später von einem Himmelsblau, das es nur über Mön gäbe. Wir ahnten nicht, dass die Beiden an diesem Nachmittag die ganze Insel in einer so gelungenen komprimierten Weise zeigen würden: Mön intravenös, Mön intramönös! An herrlichen wilden Orchideenfeldern vorbei gelangten wir auf einem Touristen nicht zugänglichen Schleichweg zu den Kreidefelsen, deren erhabene Perspektive uns den Caspar-Davidschen Atem verschlug. Durch den naturbelassenen Klintholmwald erreichten wir Liselund, eine weitläufige Parkanlage, die ein reicher Bauer im 18.Jahrhundert seiner Frau zum kurzweiligen Geschenk gemacht hatte. In Elmelunde staunten wir über die mittelalterlichen Kalkmalereien der Elmelunder Meister voll naiver religiöser Inbrunst. Schließlich noch die außergewöhnlichen Buchenwälder auf kalkigem Boden, die uns wir eine Kathedrale empfingen. Zum gemeinsamen Abendessen hatten wir jenen Punkt der Erschöpfung erreicht, der normalerweise jegliche Gastfreundschaft überwältigen kann. Nicht so mit Marianne und Niels! Jetzt fahren wir wieder hin: vom 11.8. bis 13.8.2000 mit reservierten Plätzen für Grass. Na bitte!
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