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Arbeitskreis
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Valentins
Regen
302. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 25.6.2003
Es war wohl nicht so warm wie erwartet bei der „Mittsommernacht der Poesie“ am vorigen Freitag im Büchergarten der Eheleute Korte, aber geregnet hat`s nicht. Dennoch kam
Karl Valentins wissenschaftliche Plauderei „Der Regen“ durch Christa Heise heiter und sonnig prasselnd daher: “Der Regen ist eine primöse Zersetzung luftähnlicher Mibrollen und
Vibromen, deren Ursache bis heute noch nicht stixiert wurde. Schon in früheren Jahrhunderten wurden Versuche gemacht, Regenwasser durch Glydensäure zu zersetzen, um binocke Minilien zu erzeugen. Doch nur an der Nublition scheiterte der Versuch. Es ist interessant zu wissen, daß man noch nicht weiß, daß der große Regenwasser-forscher Rembremerdeng das nicht gewußt hat. Dem Regen am nächsten liegend ist der Regenwurm — er lebt vom Regen, genau wie der Regenschirmfabrikant. Regenschirm und Sonnenschirm sind zwei gleiche Begriffe, und doch würde ihre Verwechslung zu einer nicht vorausgeahnten Katastrophe führen, denn einen Regenschirm kann man im Notfalle als Sonnenschirm benützen, dagegen kann man einen Sonnenschirm im Notfalle kaum als Regenschirm benützen.
Die Regentropfen gleichen in der Form den Hoffmannstropfen, die, an der Medizinflasche hängend, eine ovale, frei in der Luft schwebend, eine runde, und auf einer Tischplatte liegend, eine platte Form besitzen. Regenwasser benützt man häufig zum Gießen von Wiesen, Gräsern, Blumen, Unkraut und Gärten. Kinder benötigen den bekannten Mairegen zum Wachstum, und es ist statistisch nachgewiesen, daß die Kinder wirklich wachsen, auch wenn sie nicht mit Mairegen begossen wurden. Der allerschönste Regen ist der Regenbogen
Das Regenwetter wird oft mit Sauwetter, Hundswetter betitelt. Heftige Regengüsse nennt man Wolkenbrüche; damit ist gemeint, daß irgendeine Wolke so schwer mit Wasser gefüllt ist, daß sie bricht. Gegenmaßnahmen zur Heilung von Wolkenbrüchen sind zur Zeit noch nicht gemacht worden, da Wolkenbruchbänder der großen Dimension halber noch nicht hergestellt werden können, und zwar aus technischen Gründen. Weitere wissenschaftliche Fortschritte über Regenwasser sind bis heute noch nicht gemacht worden. — Die Feuchtigkeit des Regens soll auch im Mittelalter nicht so stark gewesen sein wie heutzutage. Aber dennoch denken wir dabei an die Worte des Dichters:
Sich regen — bringt Segen.
Mittsommernachts-Poesie
301. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 18.6.2003
Früher dachten die Menschen, wenn die Sonne untergeht, könne auch die Welt untergehen. Dann fanden sie den Wechsel der Jahreszeiten heraus und ermittelten die Winter- und Sommerwende und errichteten dafür große astronomische Bauten. Die Mittsommernacht wurde mit großen Festlichkeiten überall gefeiert. Von den Kelten und anderen Heiden übernahmen die Christen mit dem Johannisfest und – feuer den heidnischen Brauch – wiewohl das Christentum so manche urmenschliche Tradition integrierte. Den dreifachen Feuersprung versucht die St.Thomas-Kirchengemeinde übrigens am kommenden Sonntag! Im 20. Jahrhundert wiederbelebten einige selbsternannte Gotteskrieger den uralten Brauch. Jetzt haben die verrückten Bordenauer sich daran gemacht, eine ganze Nacht zu lesen und zu musizieren, um die Nacht der Nächte mit viel Freude und allerlei Nachdenklichem zu feiern. Mit dem verheißungsvollen Titel „Mittsommernacht der Poesie“ treffen fast 20 Mitwirkende am Freitag, dem 20. Juni 2003 im Büchergarten der Eheleute Korte auf der Hans-Zühlke-Straße 3 aufeinander , um sich und Gäste durch die Nacht zu poetisieren. Ganz schöne Texte über Liebe, Natur und Jahreszeiten von Eichendorff, Schiller, Storm, Claudius und Kishon erklingen zu den bunten Instrumenten wie Akkordeon, Geige, Gitarre, Trommel und Klarinette. Vom Urmenschen über die ersten Religiösen bis zum Atheisten wird sich fast die gesamte Bordenauer Lesegemeinschaft im Büchergarten versammeln, um den astronomischen Wechsel der Erdachsenstellung zur Sonne in der Unendlichkeit des Universums durch literarisch zu würdigen. Denn solange noch jemand liest, ist die Welt noch nicht untergegangen. Melden Sie sich telefonisch an bei Korte (05032/4434) oder kommen Sie in der Nacht einfach vorbei um mitzufeiern. Leben Sie noch oder lesen Sie schon?
Grass-Erinnerungen
300. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 11.6.2003
Günter Grass schreibt in
seinem Buch „Im Krebsgang“: „Das nagt an dem Alten. Eigentlich,
sagt er, wäre es Aufgabe seiner Generation gewesen, dem Elend der ostpreußischen
Flüchtlinge Ausdruck zu geben: den winterlichen Trecks gen Westen, dem Tod in
Schneewehen, dem Verrecken am Straßenrand und in Eislöchern, sobald das
gefrorene Frische Haff nach Bombenabwürfen und unter der Last der Pferdewagen
zu brechen begann, und trotzdem von Heiligenbeil aus immer mehr Menschen aus
Furcht vor russischer Rache über endlose Schneeflächen...Flucht...Der weiße
Tod... Niemals, sagt er, hätte man über so viel Leid, nur weil die eigene
Schuld übermächtig und bekennende Reue in all den Jahren vordringlich gewesen
sei, schweigen, das gemiedene Thema den Rechtsgestrickten überlassen dürfen.
Dieses Versäumnis sei bodenlos... Doch nun glaubt der alte Mann, der sich müdegeschrieben
hat, in mir jemanden gefunden zu haben, der an seiner Stelle
–„stellvertretend“ , sagt er - gefordert sei.“
Mit dem Alten bzw. dem alten Mann meint Grass niemand anderen als sich
selbst und so lässt er in der Novelle einen Journalisten berichten über
den Untergang des ehemaligen
Passagierschiffes „Wilhelm Gustloff“ mit 9000 Menschen an Bord am 30.
Januar 1945 vor der Stolpebank in der Ostsee. Dieser Journalist ist genau in der
Nacht noch fast an Bord des untergehenden Schiffes geboren worden und das Haar
seiner Mutter, Tulla Pokriefke, wurde im
Moment des Untergangs ganz weiß.
Tullas Enkel Konrad jedoch beginnt, sich mit den Geschichten und Obsessionen der
Großmutter zu identifizieren und setzt die Ideologie der Nazis unter 'www.Blutzeuge.de'
fort. Eine verhängnisvolle Geschichte nimmt ihren Lauf. Wir greifen – wie
Grass – das Thema auf, um es einer fortschrittlichen, weil aufgeklärten
Geschichtsschreibung zuzuführen,
und das heißt, durch Wahrhaftigkeit versöhnen. Wir wollen Günter Grass` Buch
am 3. und 4. Oktober in Bordenau gemeinsam lesen. Insofern ist jede gute
Literatur auch aktive Erinnerung. Und Grass kommt zwar nicht selbst – noch
nicht! Aber er tritt auf als eingeschriebener Erzähler, der sich zwar „müdegeschrieben“
hat, aber immer noch hellwach ist!
'Mein Garten' von Edeltraut Bock
299. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 28.5.2003
Bei unserer letzten Schreibwerkstatt
haben wir einen vorab verschickten Text von Edeltraut
Bock „Mein Garten“ gemeinsam in der Gruppe bearbeitet. Dessen schon
von ihr gelungener bildreicher Teil soll uns hier ebenfalls begeistern: „ Im
Frühling beschenkte mich mein Garten zuerst mit einem ganz zarten Duft von
Schneeglöckchen, die in kleinen weißen Feldern wuchsen. So, als hätte man
Servietten nach einem guten Essen achtlos auf die Erde gleiten lassen. Dann
kamen die Veilchen. Eine Glocke von Veilchenduft und violette Tupfen überall.
Die Magnolie löste dieses sinnige Treiben mit porzellanrosa Blüten und einer süßen
Herbe ab. Bald wurde sie übertrumpft vom Flieder, dessen Aroma von lila und weißen
Blütentrauben tropfte. Obstbaumblüten ganz zart, der Weißdorn bitter. Der
Holunder würzig, wenn ich ihn brach. Dazwischen bunter Duft und bunte Felder
von Tulpen, Primeln und Narzissen. Der füllige Geruch der Bauernrose, die
schwer auf ihrem Stängel nickte. Lilien, feuerzungige betörende Süße. Salbei
mild, Thymian streng, Lavendelfrische....Doch der cremeweiße Jasmin setzte
allem die Krone auf – ein Duftgewölbe ohnegleichen. Die Rosen blickten stotz
– ihr Aroma eigensinnig. Und bald die Beeren: Himbeeren, Erdbeeren,
Johannisbeeren. In der Sonne rochen sie rot und fruchtig voll. In der Hitze der
Sommerregen, dampfende Schwaden, erdig und vertraut. Später dann die Äpfel und
Birnen, die Nüsse, das fallende Laub. Im Winter das feuchte Holz der Sträucher
und Bäume, nassglänzend schwarz. Dann der Schnee. Ich roch ihn schon lange
bevor er fiel, schneidend klar wie frisch gewaschene, gestärkte Wäsche. Ja,
den Geruch von Schnee, den sollte ich nicht vergessen...."
Grass
Ankündigung
298. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 21.5.2003
„Warum erst jetzt?“ So beginnt die 2002 erschienene historische Novelle von
Günter Grass „Im Krebsgang“. Sie beschäftigt sich mit den Vorgängen um das Schiff
„Wilhelm Gustloff“ und deren politischen Auswirkungen bis heute. Bei diesem Schiff handelt es sich um ein 1937 für die Nazi-Bewegung „Kraft durch Freude“ eingesetzten Passagierschiffes, das später für Kriegszwecke und gegen Ende des Krieges auch für die Flucht über die Ostsee eingesetzt werden sollte. Hierbei kam es am 30.Januar 1945 zur „wohl größten Schiffskatastrophe aller Zeiten“, bei der durch die Beschießung durch ein sowjetisches U-Boot etwa 9.000 Menschen, darunter viele Kinder und Jugendliche ums Leben kamen. Das Schiff ist benannt nach einem durch ein Attentat getöteten Nazi-Funktionär. Diese historischen Szenarien sind Teil der Novelle. Die gesamten Geschehnisse waren seit Jahrzehnten auf allen Seiten tabuisiert. Grass greift das Thema auf, um es einer fortschrittlichen Geschichtsschreibung zuzuführen! Wir wollen mit unserem lesenden Dorf wieder das gesamte Buch in einer einzigartig inszenierten
Bordenauer „Spiellesung“ am 3. und 4. Oktober 2003 präsentieren: Engagierte Volkskunst im wahrsten Sinne des Wortes !
Das Bühnenbild versucht dreidimensional Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu erfassen; der Schiffsrumpf wird zur zum Publikum geneigten Spielfläche. Hier treten die drei Erzähler auf: der Ich-Erzähler, der Sachliche, und der Tod. Dann die beiden Jugendlichen, die sich an einem Tischtennis-Tisch und am Computer gegenübersitzen, deren
Internetbegenung auf Großleinwand zu lesen sein wird. Dann Oma Pokriefke, die parallel in ihrer Küche rumnestelt und ihre Sprüche hineinruft. Grass selbst hat sich als Über-Erzähler in das Buch eingeschrieben und wird überall und immer präsent sein. Dazu treten historische Bilder und Wochenschauen, die ebenfalls
projiziert werden. Auf der Bordenauer Homepage www.Bordenau.de planen wir diesmal eine Reihe interessanter Links vorzustellen, bei denen Sie sich über die zeitgeschichtlichen Hintergründe informieren können.
Bücherverbrennungen
297. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 14.5.2003
Es scheint ewig lange her, als vor siebzig Jahren in Deutschland überall Bücher brannten. Dennoch sind die Auswirkungen der faschistischen Diktatur bis heute zu spüren. Schon
Heinrich Heine hatte 100 Jahre vorher prophezeit: „ Wo Bücher brennen, brennen bald auch Menschen.“ Es sollte ein Fanal sein des „neuen“ Deutschlands, als in jenem Mai vor genau 70 Jahren in vielen deutschen Städten, vor allem in den
Universitätsstätten, die Scheiterhaufen brannten. Es waren Bücher, die da vernichtet wurden: Schriften von
Heinrich Mann, Arthur Schnitzler, Erich Maria Remarque, Lion Feuchtwanger, Carl von
Ossietzky, Alfred Kerr, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und vielen anderen
Autoren, die heute zu den Klassiker zählen, den Bücherbrennern damals aber als „unsittlich“, als „dekadent“ und „geschichtsverfälschend“, als „jüdisch“ und „volksfremd“ galten. Die „Aktion“ lief fast überall von Königsberg bis München nach demselben Schema ab: In Bibliotheken und Buchläden wurden missliebige Schriften beschlagnahmt, aufgesammelt und zu abendlicher Stunde im Herzen der Stadt oder in der Nähe der Universität verbrannt. „In Frankfurt haben sie unsere Bücher auf einem Ochsenkarren zum Richtplatz geschleift“, schrieb der bitter amüsierte Kurt Tucholsky schon aus dem Exil. Doch so uniform die Aufführungen im Fackelschein waren, mit den Reden, den „Feuersprüchen“ – „Gegen seelenzersetzende Überschätzung des Trieblebens! Für den Adel der menschlichen Seele! usw.) – die „Aktion“ war keineswegs, wie späterhin gern kolportiert, von Propagandaminister Joseph Goebels angeordnet worden. Sie kam aus der Universität selbst, aus dem Kreis der nationalsozialitischen Studenten und Professoren. Sie waren es denn auch , die neben SA- und SS- Männern bei dem Spektakel Spalier standen und als „geistige SA“ mit besonderem Feuereifer bei der nationalen Sache waren.
Jetzt hat eine historische Studie ergeben, wie „recht“ Heinrich Heine hatte; denn diejenigen die 1933 die Bücherverbrennungen organisierten, waren 1943 wieder dabei! Es scheint lange her, aber die Mahnung bleibt!
Tschingis Aitmatov:
Der
Richtplatz
296. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 7.5.2003
Viele fragen
uns, was lest Ihr eigentlich zur Zeit im Literaturgesprächskreis der VHS. Wir
lesen den 1986 eschienenen Roman „Der Richtplatz“ von Tschingis
Aitmatov.
Dabei ist der Richtplatz nicht
einfach ein Ort der Hinrichtungen. Jeder Mensch wird irgendwann einmal in seinem
Leben mit einem Richtplatz konfrontiert. Die Frage ist, wie er sich in einer
extremen moralischen Situation verhält: ob er bereit ist, ohne Rücksicht auf
sich selbst bis hin zur physischen Vernichtung für seine Überzeugungen
einzustehen. Die für Tschingis Aitmatov zentrale Frage enthält in diesem Roman
eine wahrhaft menschheitsgeschichtliche Dimension: Von Moskau bis in die Steppen
Kirgisiens, von den drängenden Problemen der Sowjetgesellschaft bis zu einer
Vision von Golgatha, wo Jesus von Nazareth und Pontius Pilatus darüber
streiten, was eigentlich den Menschen zum Menschen macht, spannt sich der Bogen.
Der einfühlsam geschilderte Kampf eines Wolfspaares um die Fortführung seiner
Art durchzieht den ganzen Roman. Die Zeit der Wölfe, der Antilopen und der
Hirten scheint
abgelaufen . Als die Wölfin Akbara und ihr Wolf Taschschajnar vor ihrem
schlimmsten Feind, dem Menschen ausreißen, ahnen sie nicht, dass ihr Ende
unausweichlich ist. Denn wo immer der Mensch in das Gleichgewicht der Natur
eingreift, wächst die Verwüstung des Lebens. Der ausgestoßene Priesterzögling
und Gottsucher Awdij Kallistratow kann sich mit dieser gleichgültig und selbstsüchtig
gewordenen Welt nicht abfinden. Auf der Suche nach der Wurzel des Bösen tarnt
er sich als Rauschgiftbeschaffer und reist in die Steppe, wo der berauschende
Hanf Anascha wächst. Eine Reise, die ihm zum Kreuzweg wird...
Welttag des Buches
295. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 30.4.2003
Wissen Sie noch, was letzte Woche für ein Gedenktag war? Ein Welttag übrigens! Etwa der Welttag der Briefmarkensammler? Nein, es war der Welttag – Moment mal – vielleicht der linkshändigen Telefonbenutzer? Gut, ein Hinweis: es soll der Geburtstag von Shakespeare und Cervantes gewesen sein. Na, alles klar? Es hatte auch was mit Büchern und Lesen zu tun. Aha! Jetzt setzen Sie den Publikumsjoker: Richtig! Es war der Welttag des Buches! Schon vergessen? Machen Sie sich nichts draus. Diese ganze PR-Aktion zum Welttag des Buches ist zwar gut gemeint, aber völlig widersinnig. Das Buch eignet sich eben nicht für eine solche pointierte Zuspitzung, es ist ruhiger, nachhaltiger, langsamer, man kann es sich vornehmen, ein bisschen lesen, dann wieder weglegen. Das Buch wird zum steten Begleiter übers ganze Jahr, ja über ein ganzes Leben, wenn es spannend und gut erzählt ist und mitreißt und anrührt und einen beschützt. Ja auch „beschützt“, weil es Dinge ausspricht und erklärt, Hinweise und Hilfen gibt und vielleicht eben einen tiefsten Sinn zum Leben.
Aus dem gleichen Grund sind ja auch viele Mütter gegen den Muttertag, oder?
Und nicht vergessen: im nächsten Jahr ist wieder so ein Welttag, doch bis dahin gibt es jede Woche diese kleine Leseecke hier.
Gästeführung Bordenau
294. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 26.4.2003
Lesen heißt auch „Spuren folgen, Spuren lesen“. Eben Geschichten verfolgen, auf den Spuren der Altvorderen wandern! So führen seit Jahren die Gästeführerinnen der Stadt durch das Neustädter Land. Und am Sonntag, dem 27.April 2003 ab 14.00 Uhr auch wieder durch Bordenau.. Treffpunkt ist das DKV-Service-Center und die Holunder-Apotheke an der Bordenauer Straße 10. Hier hängen seit einiger Zeit Photos der Fotografin Patricia Chadde, die sie vor 10 Jahren bei Bordenauer Familien und in Geschäften gemacht hat. Die schwarz-weiß Fotos wirken wie historisch entrückt und doch ganz nah. Wieviel hat sich davon in gut 10 Jahren verändert? Die Fotografien werden Ausgangpunkt der Gästeführung durch Leni Höyns, einige der abgebildeten Stationen wird sie mit Gästen und Einheimischen bei ihrem Weg durch das Dorf besuchen. So das Geschäftshaus Scharnhorst in der Bäckerstraße. Um 1900 waren hier einst drei Brüder im Haus. Was ist aus ihnen geworden? Dann die alte Schmiede mit einer interessanten Vergangenheit. Woher kommt der Name „Hagedorn“? Ältere Bordenauer berichten gern, wenn man sie fragt, wie es in früheren Zeiten war. Zum Schluss der Führung geht es ins Dorfmuseum auf Deekes Hof sowie zum ältesten Brunnen Bordenaus. Anschließend wird im evangelischen Gemeindehaus bei Kaffee und Kuchen über Gesehenes und Gehörtes geklönt. Und da heißt es dann: Spuren folgen, Geschichten lesen und in seine eigene Zeit hinein führen. Also nehmen Sie die Spuren auf!
Ostergrüße
293. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 16.4.2003
Heute ist es nur ein ganz kurzer Text! Nur ein paar liebe Ostergrüße an die hochverehrte Leserschaft! Was hatten wir hier schon für lange und schwierige Texte? Da musste man sich reinlesen, komplizierte Gedanken erfassen und vieles andere schwierige mehr. Deshalb heute nur mal ein kleines Dankeschön an Ihre Geduld und Ihre Treue. Und das lesende Dorf wünscht Ihnen ein paar wunderschöne Feiertage mit Freunden, in der Familie, im Garten oder unterwegs! Demnächst geht es hier wieder literarisch weiter! Doch heute wollen wir mit dem kürzesten Text ins Guinessbuch der Rekorde. Alles Gute und bis nächste Woche!
Wieder Ostern
292. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 9.4.2003
Aus gegebenem Anlass bringen wir noch mal das nachdenkliches Gedicht „Du: der Messias?“ des Schweizer Dorfpfarrers und Poeten Kurt Marti, das auch bei der Bordenauer Passionsgeschichte vorgelesen wurde: „Du: der Messias“ soll Simon in einem Augenblick der Erleuchtung gesagt haben damals, und wie lange ist seither dein Reich gepredigt worden? Gewaltiger noch als durch Worte mit Feuer und Schwert, mit Kapital und Gewalt: Ströme von Tränen von Blut bis heute, da sich die Völker - gigantisch doch ratlos – bedrohen mit absoluter Vernichtung. „Du: der Messias“ – und wir: die Apokalypse unserer selbst? Sollen wir die letzten oder die vorletzten Menschen gewesen sein auf diesem Planeten? Wozu dann aber willst du noch wieder kommen? Wozu – wenn dein Reich der Freiheit der Liebe keine Menschen mehr vorfinden wird? „Du: ein Messias, der Gebirge der Meere der Winde nur noch? Archäologe des Himmels vielleicht auf zu später Suche nach Spuren des dann erloschenen Ebenbildes Gottes?“
Joseph Roth: Hiob
291. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung
vom 2.4.2003
Heute abend am Mittwoch, dem 2.4.2003, beschäftigen wir uns in unserer Reihe „Literarische Passionen“ in der Liebfrauenkirche ab 19.30 Uhr weiter mit der Hiob-Figur. In der Bibel erleidet Hiob ein schlimmes Schicksal, uns in der Formulierung „Hiobsbotschaften“ bekannt. In Joseph Roths „Roman eines einfachen Mannes“ verliert die Hiob-Figur Mendel Singer seine Familie, seine Heimat und seine Gesundheit. Obwohl gegen Ende noch eine andere gute Wendung eintritt, rebelliert er gegen Gott und will seine rituellen Gebetsutensilien verbrennen: „Aus, aus ist es mit Mendel Singer!“ ruft er und mit den Stiefeln stampft er den Takt dazu, dass die Dielenbretter dröhnen und die Töpfe an der Wand zu klappern beginnen. „Er hat keinen Sohn, er hat keine Tochter, er hat kein Weib, er hat keine Heimat, er hat kein Geld. Gott sagt: ich habe Mendel Singer gestraft. Wofür straft er, Gott? Warum nicht Lemmel, den Fleischer? Warum straft er nicht Skowronnek? Warum straft er nicht Menkes? Nur Mendel straft er! Mendel hat den Tod, Mendel hat den Wahnsinn, Mendel hat Hunger, alle Gaben Gottes hat Mendel. Aus, aus, aus ist es mit Mendel Singer!“ So stand Mendel vor dem offenen Fenster und brüllte und stampfte mit den Füßen. Er hielt das rotsamtene Säckchen in den Armen, aber er warf es nicht hinein – ins Feuer. Ein paar Mal hob er es in die Höhe, aber seine Arme ließen es wieder sinken. Sein Herz war böse auf Gott, aber in seinen Muskeln wohnte noch die Furcht vor Gott....Als die Freunde kamen, beruhigte sich Mendel wirklich. „Was ist mit dir, Mendel? Warum machst du Feuer, warum willst du das Haus anzünden?“ – „ Ich will mehr verbrennen als nur ein Haus und mehr als einen Menschen. Ihr werdet staunen, wenn ich euch sage, was ich wirklich zu verbrennen im Sinn hatte. Ihr werdet staunen und sagen: Auch Mendel ist verrückt geworden, wie seine Tochter. Aber ich versichere euch: ich bin nicht verrückt. Ich war verrückt.Mehr als sechsig Jahre war ich verrückt, heute bin ich es nicht.“ – „ Also sag uns, was du verbrennen willst!“ – „Gott will ich verbrennen.“ Allen vier Zuhörern entrang sich gleichzeitig ein Schrei.“