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Unser Dorf liest

Arbeitskreis 
"Unser Dorf liest"

Kolumnen - Archiv 1.9.1999 - 31.12.1999

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Soviel Zeit
120. Artikel der Aktion: UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung vom 29.12.99

Hochverehrte Leserschaft!

„Soviel Zeit muss sein" oder „hinter uns die müde Zeit, vor uns die Unendlichkeit" oder „mit jedem neuen Kind geben wir die Unsterblichkeit von Mensch zu Mensch weiter". Alles dreht sich um die Zeit. Was ist Zeit überhaupt? Für die musikalisch-literarische Veranstaltung zum Thema ZEIT am Sonntag, dem 9.Januar 2000 um 16.oo Uhr im Dorfgemeinschaftshaus Bordenau konnten wir neben der Komposition „Deo Volente" auch Prof. Bernhard Zeitig gewinnen, der uns eine kurze Einführung in die Bedeutung der Zeit geben wird. Zu den sich verschränkenden Zeitstrukturen schreibt er uns: „ Ich bin all meine Zeit. Um mich der Ort der Uhren. Das Leben meiner Familie hält mich. Die Geschichten meines Dorfes oder Stadtteils umweben mich. Die Erlebnisse und Erfahrungen meines Volkes tragen mich durch die Zeit. Die Geschichte der Begegnungen mit den vergangenen Bewohnern der Erde liegt in mir. Die Entwicklung der Erde aus grauer Vorzeit lebt in meinen archetypischen Tiefen. Unser Sonnensystem treibt mit dem vermutet auseinanderstrebenden Universum durch den unendlichen Raum und das Weltraumteleskop Hubble – dieser Tage von Menschenhand im All repariert - liefert uns Bilder von 1o Milliarden Lichtjahren entfernten Sternen. All diese Zeitstrukturen durchdringen sich zu einem fast unbegreiflichen Zeitstrudel, mit jedem von uns als die Mitte aller Zeiten: ich bin all meine Zeit." In diesem Sinne wünschen wir von hier aus allen unseren treuen Lesern: eine gute Zeit.

Weihnachtsmann
119. Artikel der Aktion: UNSER DORF LIEST mit der Neustädter Zeitung am 22.12.99

Hochverehrte Leserschaft!

Auf die Frage der achtjährigen Virginia, ob es den Weihnachtsmann wirklich gibt, antwortete Leitartikler Francis Church 1897 in der New Yorker Zeitung „The Sun": „Deine Freundinnen haben nicht recht. Sie leiden an einer Krankheit, die ihnen freilich erst später Schmerzen bereiten wird, die aber dennoch eine böse Krankheit ist. Gib acht, dass auch Du nicht von ihr ergriffen wirst: Es ist das Leiden der Seele. Wir Erwachsenen nennen es Zweifelssucht, Unglauben, Herzensarmut. Deine Freundinnen und die anderen, die es ihnen eingeredet haben, meinen, sie seien wer weiß wie klug, weil sie nur das für wirklich halten, was sie mit ihren Augen sehen, mit ihren Händen greifen können -–und wissen doch nicht, wie wenig das ist. Nun kleine Virginia, stell` Dir einmal die ganze weite Welt vor mit Bergen und Seen, Flüssen und Meeren und den endlosen Himmel darüber mit seinen vielen, vielen Sternen! Wie sollte der Mensch mit seinem kleinen Verstand alles sehen, alles erkennen, und alles wissen! Ja, Virginia, es gibt den Weihnachtsmann. So gewiss wie es Wärme und Fröhlichkeit, Liebe und Güte gibt, die man auch nicht mit seinen Augen sehen, mit seinen Händen greifen kann! Und doch gibt es sie – das fühlst du doch- , und bringen sie nicht Schönheit und Freude in Dein Leben? Ach, wie traurig wäre die Welt ohne den Weihnachtsmann! So traurig, als ob es keine kleinen Virginias mehr gäbe, keine Märchen, keine Lieder, keine Dichter, die Geschichten schreiben – nur noch Leute, die niemals spielen, niemals lachen! Da wären wir doch allesamt verloren, und das Licht, das ewige, das nie ausgeht, mit dem Ihr Kinder die Welt erhellt, und das mit jedem neuen Kindchen neu geboren wird, würde für immer erlöschen."

Harrys Katastrophen
118. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 15.12.99

Hochverehrte Leserschaft!

„Ich kann das Wort Millennium nicht mehr hören!" knurrte mein Freund Harry missmutig ins Telefon. „Wieso?" fragte ich und er begann – mittlerweile im neuen Jahrtausend - von seinen alltäglichen Katastrophen zu erzählen: er wachte am 3o.12.99 am späten Vormittag auf, noch benommen von der Vormillenniums-Party – die übrigens ein namhafter Kaffeeröster angeboten hatte- und rutschte dermaßen auf seinen eigenen Hausschuhen aus, dass er den Papageienständer umriss, worauf dieser blöde, vollkommen unsprachliche Papagei aus Versehen mit dem Schnabel durch die Käfigstäbe auf die sogenannte Notfalltaste drückte, die meinen Freund direkt mit der Feuerwehr verband. Hier löste der Notruf die größten Verwicklungen aus, denn als Hauptbrandmeister Müller mit seinem Rettungsfahrzeug losfuhr, riss er das unnötigerweise vor dem Gebäude stehende Gerüst mit um, und das traf einen Hydranten, der plötzlich nichts anderes mehr sein wollte, als der beste Hydrant des ganzen Universums. Da die Stadtwerke im Rahmen des Millenniumsvorsorgepaketes ein neues Hochdruckverfahren testete, geriet erst die halbe Strasse, dann der ganze Stadtteil in „Land-unter-Stimmung". Bei der Evakuierung des Altenheims ist es dann passiert: einige Bewohner, schon lange des eintönigen Versorgtseins überdrüssig, entwendeten drei Feuerwehrboote und machten sich „jung und dünne" über die Leine Richtung Meer auf den Weg. Schulen mussten unter dem völlig überflüssigen Gejohle der Erstklässler geschlossen werden, wobei die gerade eingesammelten Schwimmerlaubnisse davon schwammen. So zog ein Unglück das nächste nach sich und als abends bei der überlangen Tagesschau, die davon berichtete - Harry rief noch: „Endlich mal was los!" der Fernseher explodierte, bekam Harry den wirklichen Jahrtausendwechsel gar nicht mit... Übrigens zum Thema ZEIT gibt es im Bordenauer Dorfgemeinschaftshaus am Sonntag, dem 9.Januar 2ooo, eine literarisch-musikalische Veranstaltung unter dem Titel: „Es wird Zeit..!"

Grass und sein Kritiker
117. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 8.12.99

Hochverehrte Leserschaft!

Nun hat - wie wir Neustädter alle wissen, Günter Grass in diesem Jahr den Literaturnobelpreis bekommen. Herzlichen Glückwunsch! Um Grass erst recht zu fassen, lassen wir nun einen seiner schärfsten Kritiker Marcel Reich-Ranicki, zu Wort kommen. In seiner Selbstkritik der Kritiker schrieb er: „Natürlich sind mir in meiner literarkritischen Arbeit allerlei mehr oder wenigere ernsthafte Irrtümer unterlaufen....Am 1.Januar 1960 brachte „Die Zeit" meine Kritik des Romans DIE BLECHTROMMEL von Günter Grass. Ich sagte damals, der Anfänger Grass sei ein ungewöhnlicher, ein überdurchschnittlicher Erzähler, ich rühmte seinen originellen Humor, seine bewunderungswürdige Phantasie und seine sprachliche Kraft. Anderseits schrieb ich – übrigens weit ausführlicher – über das alles, was mir an seiner Blechtrommel fragwürdig oder geradezu schlecht zu sein schien. Ich meinte, der Autor habe von der Kunst des Weglassens keinen Schimmer und sei sogar geschwätzig. Ich bedauerte, dass er seine teilweise großartigen Einfälle episch auszuwerten nicht imstande sei. Ich beanstandete Geschmacklosigkeiten und Schaumschlägereien, ich warf Grass vor, er habe bisweilen darauf abgesehen, die Leser um jeden Preis zu schockieren, ihm sei hier und da an einem primitiven Bürgerschreck gelegen, der die Ernsthaftigkeit und Aggressivität seines Buches in Frage stelle.... Das war alles richtig. Und doch bin ich der Gestalt des Helden und somit der Konzeption des Romans DIE BLECHTROMMEL mit diesen Bemerkungen nicht gerecht geworden. Denn Oskar protestiert physiologisch und psychisch gegen die Existenz schlechthin. Er beschuldigt den Menschen unserer Zeit, indem er sich zu seiner Karikatur macht. Der totale Infantilismus ist sein Programm. Er verkörpert jenseits aller ethischen Gesetze und Maßstäbe die absolute Inhumanität. Das hätte ich damals schreiben sollen. Ich habe es leider nicht geschrieben."

Millenniumslesung
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6. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 1.12.99

Hochverehrte Leserschaft!

„Ich kann das Wort Millennium nicht mehr hören!" So beginnt am Dienstag, dem 7.12.99, im Schloss Landestrost um 2o.oo Uhr die Lesung von Texten zur Jahrtausendwende. Wir alle werden Zeuge einer unsichtbaren Wende: dem Zeitenwechsel ins nächste Jahrtausend. Dabei beginnt es ja eigentlich erst ein Jahr später. Doch damit sind wir mittendrin in einer Lesung von heiteren, besinnlichen, apokalyptischen und wissenschaftlichen Texten zur Jahrtausendwende. Mit dem Titel „Und sie dreht sich doch weiter...Oder?" soll diese Lesung wie in einer Zeitmaschine zum hoffnungsvollen Nachdenken über die Zeit anregen. Zu Gehör kommen neben der Johannes-Offenbarung auch apokalyptische Prophezeiungen von Nostradamus sowie wissenschaftliche Texte zur Zeitrechnung. Wir werfen einen zukunftsträchtigen multimedialen Blick ins 21. Jahrhundert, lernen die tollsten Ideen über verrückte Silvesterfeiern kennen, erfahren etwas über die Gefahren des Computerausfalls und hören, wie Menschen den ersten christlichen Jahrtausendwechsel erwartet und überlebt haben. Mit diesem Wissen bereiten wir uns mit hoffnungsvollen Gedichten , u.a. von Marie Luise Kaschnitz, auf die Zukunft vor. Vorleser ist der Neustädter Jahrtausendwenderezitator, Theaterpädagoge und Autor Martin Drebs. Die Lesung ist weltanschaulich neutral und für jedermensch zugänglich, vergnüglich und informativ und endet mit den Worten : "Stund´ um Stunde sind verkettet, ehe uns die Zukunft rettet, müssen wir die Zukunft sein".

BEERMANNS ANEKDOTEN
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5. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 24.11.99

Hochverehrte Leserschaft!

Schon traditionellerweise beteiligt sich „Unser Dorf liest“ wie auch am 28.November wieder am Weihnachtsmarkt in Bordenau. Statt heiterer Weihnachtsgeschichten - der Floh lässt grüßen – warten wir diesmal mit einer Besonderheit ab 17.oo Uhr in der Thomaskirche für Sie auf: Renate Beermanns Anekdoten und Geschichten über menschliche Zuwendung im Rahmen häuslicher Pflege, die die Neustädter Autorin unter dem Titel „Wenn die fremde Frau kommt“ in diesem Jahr herausgegeben hat. Die Autorin wird zusammen mit Austra Daecke und Martin Drebs lesen. Leni Höyns wird dann zum Abschluss einer heitere plattdeutsche Adventsgeschichte von Bernhard Trittelvitz vorlesen. Wir zitieren hier aus Renate Beermann Geschichte „Konfirmandenpraktikum“: „Wisst ihr eigentlich, wie das ist, wenn man allein ist und von niemandem mehr eine Überraschung erwarten kann, kein Geschenk, nichts?“ Sie nickten beide, ohne etwas zu sagen. Dann fragte Leon: Haben Sie denn wirklich niemanden mehr, ich meine so nett wie Sie sind, würde sich doch jeder freuen, Sie besuchen zu können.“ „Ich habe noch einen  Neffen, und der ruft mich zu jedem Geburtstag und manchmal auch zu Weihnachten an. Er erzählt mir dann, wie gerne er mich besuchen käme, aber leider hat er keine Zeit, er muss viel arbeiten.“ Herr Rückert lächelte: „Er hat genauso wie fast alle anderen Mitmenschen die Zeitkrankheit, er läuft von einem Termin zum anderen. Na ja, als alter Mann ist man davon geheilt, ich habe diese Krankheit ja genauso gehabt. Seid ihr denn auch schon davon befallen?“

114. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 17.11.99

Hochverehrte Leserschaft!

Heute Mittwoch, dem 17.11.99, ab 19.3o Uhr informieren Diplombibliothekarin Julie Beutel und der Kritiker Martin Drebs in der Stadtbibliothek Neustadt wieder über Neuerscheinungen der Kinder- und Jugendliteratur vor. Der Eintritt beträgt - entgegen der Ausschreibung im KVHS-Programm lediglich 5,-DM bei gleichbleibender Qualität. Neben Bilder- , Kinder- und Sachbüchern werden auch Jugendbücher vorgestellt. Wir zitieren hier aus Janine Teissons „Kino der Liebenden". Einmal in der Woche zeigt Monsieur Piot, Besitzer eines kleinen Pariser Kinos, Klassiker der Filmgeschichte. Auch Marine und Mathieu fehlen mittwochs nie. Matthieu ist begeistert, nicht nur wegen der Filme. Denn neben ihm sitzt Marine, deren aufregendes Parfum ihm nicht aus dem Sinn geht. Beide ahnen nicht, dass ein Geheimnis sie verbindet: „Matthieu beugt sich zu Marine und sagt: „Ich mag die Stimmen aus dem Off, du auch?" – „Ja, das ist schön, man hat den Eindruck, dass jemand ein Buch vorliest." Die Stimme aus dem Off sagt: „Sie hatte auf einmal Lust jemand anders zu sein." Und Marine denkt: Oh ja! Jemand anders sein und nicht mehr die Last schleppen, die mich umbringt. Eine andere sein und seine Hand nehmen, seine Hand küssen und an meinen Hals legen... Mathieu hört Marine seufzen. Sie nimmt ihre Hand und legt sie auf die Seide an ihrem Hals. Die Stimme aus dem Off sagt: „Die Liebe wird manchmal aus einem Blick geboren." Mathieu denkt: die Liebe braucht gar keinen Blick, um geboren zu werden. Verehrte Frau Dichterin, auch sie wissen nicht alles... Marine denkt: Jemanden lieben ist einfach. Aber wenn man nicht wiedergeliebt werden kann? Ihre Kehle ist wie zugeschnürt. Die Stimme aus dem Off sagt: „Man kann sich dem Glück nicht widersetzen!" Marine ballt die Fäuste und denkt: Das Glück? Welches Glück denn ? Wo ist das Glück? Als wäre es immer Glück jemanden zu lieben. Dieser Film ist vollkommen idiotisch. Diese Louise de Volmerin ist eine einzige Enttäuschung. Mathieu denkt: Ja, vielleicht soll man sich dem Glück nie widersetzen, auch wenn es letztendlich tausendmal kleiner ist, als man es gerne hätte."

113. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 10.11.99

Hochverehrte Leserschaft!

Morgen nun ist nicht nur Sankt Martin, sondern auch Hoppeditz Erwachen, der inoffizielle Beginn der Karnevalszeit, die seit vielen Jahren im Neustädter Land immer mehr Freunde gewinnt. Unser Projekt möchte sich im nächsten Jahr an dem heiteren Treiben beteiligen. Dafür suchen wir Mitbürger mit besonderen Namen, die sich rund um das Projekt „Unser Dorf liest" bewegen. Also zum Beispiel Namen wie Buch, Buchberger, Buchmann, oder auch Autoren und Dichter wie Büchner, Andersen, Schiller, Göthe oder Schulze-Lohhof. Zum Lesen gehören auch die Worte; hier suchen wir nach Namensträgern wie Wortmann, Leseberg und Roman. Aus den Büchern schließlich kommen literarische Figuren wie die Buddenbrooks, das Gretchen und Käpten Blaubär. Überhaupt dürfen die Kinderfiguren dabei nicht fehlen! Gibt es Pünktchen und Anton, vielleicht einen kleinen Findus oder sogar Märchenfiguren? Wenn Sie sich als solche literarische Figur empfinden, melden Sie sich bitte! Auch Namensträger mit griechisch-mythologischem Hintergrund wie Achilles oder Platon sind willkommen. Melden Sie sich bitte unter FAX: o5o32/9152o2. Sie werden dann für Anfang März eingeladen, um Ihren Namen herum einen witzigen Vierzeiler vorzutragen! Neustadt, Helau und Alaaf!

112. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 3.11.99

Hochverehrte Leserschaft!

Ach Herbst! Ach Rilke! Am Donnerstag, dem 4.11.99, ab 2o.oo Uhr ist es endlich soweit, und Prof. Dr. Wolfgang Menzel trägt im Dorfgemeinschaftshaus Bordenau Herbstgedichte vor und singt mit uns gemeinsam Herbstlieder. Der renommierte Deutschdidaktiker, seit 1974 an der Universität Hildesheim lehrbeauftragt, wird unter verschiedenen Themen wie Melancholie und Einsamkeit, Erinnerung und Abschied, und „Der Nebel" Gedichte der Schriftsteller Bachmann, Brasch, Brecht, Fontane, Goethe, Kästner, Mörike und – neben vielen anderen - eben auch Rilke vorlesen. Rainer Maria Rilke (1875, Prag, bis 1926, Wallis) galt und gilt Generationen deutscher Leser als die Verkörperung des Dichterischen, sein klangvoll-rhythmischer Name wurde zum Inbegriff des Poetischen. Rückhaltlose Offenheit gegenüber Wirklichkeit wie menschlichem Du, aber auch zugleich gegenüber den Abgründen des eigenen Ich, dem Unbewußten, der eigenen Kreatürlichkeit; zugleich jedoch das Bemühen, jenseits aller Konventionen und Schablonen, jenseits von Verdinglichung und Verdrängung, das Formlose und Fremde durch dichterische Gestaltung modellhaft in neue, spielerisch-schwebende und doch genaue Ordnung zu überführen, so ein Literaturwissenschaftler über Rilke, ein langer und doch richtiger Satz (bitte nochmal lesen !). Und da gibt es eben neben dem allseits bekannten „Herbsttag" von Rilke auch noch das wunderschöne Gedicht

HERBST : Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit. Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an : es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in Händen hält. – Wie finden Sie es ?

111. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 27.10.99

Hochverehrte Leserschaft!

Ich freue mich natürlich sehr, dass Sie wieder auf diese Zeilen schauen; doch ehrlicherweise weiß ich heute einfach nicht, was ich Ihnen schreiben soll bzw. es gibt zu viele Möglichkeiten. Etwas Heiteres sollte es sein, eben nicht nur ein schwermütiges Herbstgedicht, das und andere hören wir von Prof. Dr. Wolfgang Menzel am 4.11. im Dorfgemeinschaftshaus. Etwas über den Literaturnobelpreisträger Günter Grass, da warte ich noch auf den Text von Marzel Reisch-Ranitzki.


Mal wieder was für die Kinder, etwas von den Neuerscheinungen, die am 17.11. ab 19.3o Uhr in der Stadtbibliothek vorgestellt werden, aber da findet sich im Moment kein beispielhaftes kurzes Stück Text, das sich vorstellen liesse. Vielleicht etwas zum Jahrtausendwechsel, nicht gerade Bedrohliches, eher darüber, wie verrückt sich dieses besondere Silvester feiern lässt, davon erfahren wir bei der Lesung am 7.12. im Schloß noch einiges. Und wie wir von Bordenau im Internet lesen können, steht dieser Tage auch viel in der Zeitung. Also etwas über das Lesen an und für sich vielleicht? Oder ein witziger Sportkommentar? Oder über den neuen Büchner-Preisträger Arnold Stadler ? Oder über die Skulptur in der Scharnhorstschule: ein lesendes Kind ? Oder was sagen Sie ? Es ist halt manchmal schwer, etwas Passendes zu finden, bei aller Mühe. Das wollte ich Ihnen doch einmal gesagt haben! Und nächste Woche geht es dann richtig wieder weiter !

110. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 20.10.99

Hochverehrte Leserschaft!

Neues aus der Schreibwerkstatt: Heike brachte zwei wunderschöne Photos eines Sonnenaufgangs mit. Wir schrieben dazu Gedichte und kleine Geschichten. Hertas Gedicht fanden alle schön: „Ein weißer Riesenvogel, Gebilde aus Wolkenfasern, schwingt sich ins Morgenlicht auf der Luftstraße nach Athen. Er versucht nach Süden zu ziehn, doch die Flügel sind noch verankert im dunklen Horizont. Das hindert sein Verlangen. Nimm mein Herz mit, großer Vogel, trage es und lass es schweben!" Eduard Mörike, der uns die ganze Zeit aus der dunklen Zimmerecke schmunzelnd verfolgt hatte, brachte nun seinerseits etwas zum besten: „O flaumenleichte Zeit der dunklen Frühe! Welch neue Welt bewegest du in mir? Was ists, daß ich auf einmal nun in dir von sanfter Wollust meines Daseins glühe? Einem Kristall gleicht meine Seele nun, den noch kein falscher Strahl des Licht getroffen; zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn, dem Eindruck naher Wunderkräfte offen, die aus dem klaren Gürtel blauer Luft zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft.....Dort, sieh! am Horizont lüpft sich der Vorhang schon! Es träumt der Tag, nun sei die Nacht entflohn; die Purpurlippe, die geschlossen lag, haucht, halbgeöffnet, süße Atemzüge: auf einmal blitzt das Aug, und, wie ein Gott, der Tag beginnt im Sprung die königlichen Flüge!"

109. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 13.10.99

Hochverehrte Leserschaft!

„Wer jetzt allein ist,...." Unter diesem Titel wird Germanistikprofessor Dr. Wolfgang Menzel am Donnerstag, dem 4. November 1999, ab 2o.oo Uhr im Dorfgemeinschaftshaus Herbstgedichte und Lieder vortragen und mit uns gemeinsam singen. Herbstblättereintrittskarten für 5,-DM gibt es bei Post-Bittner, Bordenauerstraße. Aus der Fülle der Jahrhunderte und verschiedener Dichterinnen und Dichter stellt Menzel sein beliebtes und buntes Herbstpro-gramm zusammen. Ein ansonsten heiterer Joachim Ringelnatz warnt uns dabei vor den Gefahren der herbstlichen Regenschauer: Der erste dicke Tropfen schlug – es war wie Blut – mir auf die Hand. Da ich den Himmel und das Laub verstand, schien nur das Publikum mir wie Betrug. Ein Tropfenwitz traf meinen Wein, das Publikum mit fetten Torten floh unter neckisch dünnen Worten vom Garten in das Haus hinein. Ich Dummplikum blieb ganz allein. Erst als der Kellner mir das Tischtuch kündigte, bemerkte ich, wo falsch, wo echt ich sündigte, ging auch ins Haus und übersann vergnügt: wozu ein Regentropfen schon genügt." Oder auch „Herbst im Fluß": Der Strom trug das ins Wasser gestreute Laub der Bäume fort. – Ich dachte an alte Leute, die auswandern ohne ein Klagewort. Die Blätter treiben und trudeln, gewendet von Winden und Strudeln gefügig, und sinken dann still. – Wie jeder der Großes erlebte, als er an Größerem bebte, schließlich tief ausruhen will.

108. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 6.10.99

Hochverehrte Leserschaft!

Der Anlaß für den folgenden Text von Gudrun Pausewang ist nicht die blaue Blume der Romantik, sondern der blaue Blitz von Tokaimura. Darf eine Jugendschriftstellerin in ihren Bücher auch Katastrophenszenarien entwickeln? Sie muss - als Warnung und Mahnung, und weil unter anderem dabei auch ihre Bücher mit untergingen. Die engagierte Autorin liest am Donnerstag, dem 7.Oktober, um 16.oo Uhr im Schloß für Jugendliche und interessierte Erwachsene. Sie schrieb die Bücher @Die Wolke@ und @Die letzten Kinder von Schewenborn@. Aus letzterem zitieren wir: Wir fuhren auf der Kasseler Autobahn bis Alsfeld, dann bogen wir in den Vogelsberg ab. Es war ein Julitag, wie man ihn sich nur wünschen kann. Mein Vater fing an zu singen, wir sangen mit. Meine Mutter übernahm die zweite Stimme. Als wir durch Lanthen fuhren, war noch alles wie immer. Aber im Wald zwischen Lanthen und Wietig, gerade in der Kurve am Kaldener Feld, blitzte es plötzlich so grell auf, daß wir die Augen zupressen mußten. Meine Mutter stieß einen Schrei aus, und mein Vater trat so fest auf die Bremse, daß die Reifen quietschten. Der Wagen geriet ins Schleudern und blieb quer zur Fahrbahn stehen. Wir wurden in den Gurten hin- und her gerissen. Sobald der Wagen stand, sahen wir am Himmel, hinter den Wipfeln, ein blendendes Licht, weiß und schrecklich, wie das Licht eines riesigen Schweißbrenners oder eines Blitzes, der nicht vergeht. Ich schaute nur einen Augenblick hinein. Trotzdem war ich danach eine ganze Weile wie blind. Starke Hitze drang durch das Fenster herein. @Was ist das?@ hörte ich meine Mutter schreien. Sie hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Der Vater hatte auch den Arm vor den Augen. Judith, die hinter der Mutter saß und zusammen mit ihr die schlimmste Hitze abbekam, ächzte und ließ sich seitwärts auf Kerstin und mich fallen. @Fenster zu!@ brüllte der Vater. Aber noch ehe jemand zu den Kurbeln greifen konnte, erhob sich ein rasender Sturm. Vor uns bogen sich die Bäume, ihre Wipfel neigten sich tief. Wir hörten Holz krachen und splittern. Unser Wagen wurde gepackt und gerüttelt. Wir klammerten uns aneinander, denn wir dachten, wir würden in den Graben geschoben.....

107. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 29.9.99

Hochverehrte Leserschaft!

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten, die früh sich einst dem trübem Blick gezeigt. Versuch´ ich wohl, euch diesmal festzuhalten? Fühl´ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt? Ihr drängt euch zu ! nun gut, so mögt ihr walten, wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt; mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert vom Zauberhauch, der euren Zug umwittert. Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage, und manche liebe Schatten steigen auf; gleich einer alten, halbverklungenen Sage kommt erste Lieb` und Freundschaft mit herauf; der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage des Lebens labyrinthisch irren Lauf, und nennt die Guten, die, um schöne Stunden vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden. Sie hören nicht die folgenden Gesänge, die Seelen, denen ich die ersten sang; zerstoben ist das freundliche Gedränge, verklungen, ach! der erste Widerklang. Mein Lied ertönt der unbekannten Menge, ihr Beifall selbst macht meinem Herzen bang, und was sich sonst an meinem Lied erfreuet, wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet. Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen nach jenem stillen, ernsten Geisterreich, es schwebet nun in unbestimmten Tönen mein lispelnd Lied, der Äolsharfe gleich, ein Schauer faßt mich, Träne folgt den Tränen, das strenge Herz, es fühlt sich mild und weich; was ich besitze, seh` ich wie im Weiten, und was verschwand, wird mir zu Wirklichkeiten. Ach ja! Freitag, 1.1o.99, 19.oo Uhr Stiftungsfest mit Goethe und tagsdrauf um 11.oo Uhr in der Scharnhorstschule Faustprobenbeginn, alle hin! 

106. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 22.9.99

Hochverehrte Leserschaft!

Letzte Meldung: Bordenau. Schreibwerkstatt wiedereröffnet. Am Montag, dem 27.9.99, öffnet in der Scharnhorstschule ab 19.45 Uhr wieder die Schreibwerkstatt. Hierzu sind für sechs Montagabende alle des Schreibens kundigen Mitbürger eingeladen, die sich zutrauen, mit Papier und Stiften umzugehen. Sie erfahren dabei umfangreiche Hilfe des qualifizierten und freundlichen Fachpersonals, wenn es darum geht, Worte und Wörter aus dem Kopf über die Hand zu Papier zu bringen, oder auch Schmetterlinge im Bauch und Rosinen im Kopf zu mischen. Es gibt jede Menge Tipps bei der Formulierung lustiger und nachdenklicher Sätze, und es werden viele Werkzeuge angeboten, um kleine Geschichten zu fabrizieren. An den Worten wird dann gefeilt, gewienert und geschliffen, bis sie hinter der grauen Fassade ihrer Beiläufigkeit den wahren und brillanten Kern entbergen, der sie aus ihrer Selbstverständlichkeit reißt. Die Werkstattleiter garantieren einen Zugewinn an sprachlicher und geistiger Regsamkeit, der Sie Ihren Zeitgenossen gegenüber in einem poetischen Höhenrausch erscheinen läßt. Genaue Preise entnehmen Sie bitte dem Programm der Kreisvolkshochschule, denn reich zu werden trauen wir uns nicht zu, aber reich zu bleiben. Aus gut unterrichteten Kreisen war auch zu hören, dass die Stücke und Gedichte der Schreibwerkstatt demnächst jede Woche wechselnd an einem sogenannten Literaturtelefon zu hören sein werden.

105. Artikel für die Aktion von NEUSTÄDTER ZEITUNG und UNSER DORF LIEST am 15.9.99

Hochverehrte Leserschaft!

Am Dienstag, dem 21.9.99, besucht die freischaffende Malerin, Illustratorin und Autorin Heike Ellermann den Kindergarten in Bordenau. 1945 in Kolmar/Warthe geboren, verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend in Nienburg/Weser. Nach dem Studium in Braunschweig, Tübingen und Oldenburg war sie Lehrerin und Diplompädagogin im Schuldienst und in der Erwachsenenbildung tätig und hatte Lehraufträge an der Universität Oldenburg. Ihr umfangreiches Werk, das mehrmals auch auf der Auswahlliste zum Deutschen

Jugendliteraturpreis stand, umfasst Kinder- und Bilderbücher wie "Der rote Faden" , "Geisterbahn", "Malte im Moor", "Die Puppe Bella oder Bloß keine Schwester" und "Passwort Zauberstein". In dieser Geschichte sammelt Stefanie Steine. Für sie sind Steine etwas ganz Besonderes, sie glaubt sogar, dass in ihnen eine Zauberkraft steckt. Oder ist es ein Zufall, dass ein fremdes Mädchen an einer Bushaltestelle ihr gerade in dem Moment zuwinkt, als sie ihren Lieblingsstein fest drückt? Im Kaufhausgewimmel beweist der Stein, dass er für Stefanie tatsächlich besondere Qualitäten hat: Ein Videospiel, das sie in der Spielwarenabteilung ausprobiert, wird zu einer Reise in die Fantasie. Kann der Stein auch helfen, Stefanies größten Wunsch zu erfüllen: eine Freundin zu finden in der großen, fremden Stadt? "Passwort Zauberstein: Ein Plädoyer für die Macht der Gefühle im kindlichen Erleben und eine Liebeserklärung an die Zaubersteine in Kinderhänden", so Jens Thiele in der Zeitschrift "Eselsohr". Freuen wir uns mit unseren Kindern auf ihren Besuch!


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