Logo_50.jpg (1474 Byte)
Unser Dorf liest

Arbeitskreis "Unser Dorf liest"

Kolumnen - Archiv 2021


Übersicht
Archiv
anzeigen


Nach dem Fest ist vor dem Umtausch!
1028. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 31.12.2021

Liebe Falschbeschenkte!

Frohes neues Jahr erstmal! Nu ist es im Grunde Anfang Januar erst der erste Sonntag nach Weihnachten sowie ja auch Advent diesmal schon im November begann. Dabei ist es so nicht nur den Arbeitgeberverbänden gelungen, Weihnachten wieder mal auf ein Wochenende zu legen und damit „preiswerte“ Arbeitszeit zu sparen, sondern auch die Verbraucherverbände haben ebenfalls daran gedreht – zum Schutz der Verbraucher versteht sich, um den Umtausch problematischer Geschenke zu erleichtern: Sie kann das neue Parfüm nicht riechen. Sein Hemd ist viel zu groß und viel zu grün, und das heiß ersehnte Buch liegt zweimal unterm Tannenbaum, die Puppe ist falsch gekauft und das Legopaket nicht das richtige. Nach dem Fest ist vor dem Umtausch! Bisher war es doch so: Wenn Heiligabend in der Mitte der Woche lag, waren die normalen Tage danach die Geschäfte auch geschlossen; und wenn dann die Bedingung war – Umtausch nur in drei Tagen möglich - lief schon gar nix mehr. In diesem Jahr sollte von langer Hand geplant alles einfach unkomplizierter ablaufen. Nur hat niemand mit der Pandemie und ihren Folgen gerechnet! Die neue Welle hat die Bestimmungen über die Festtage stark verschärft. Hat also Opa Erwin für Enkel Kevin einen petrolfarbenen Pulli vor dem Fest noch unter der „2G-Regel“ gekauft, so muss er sich jetzt für den Umtausch mit „3Gplus“ in der Woche „boostern“ und dazu noch testen lassen. Nach der Impfung erstmal ein Testzentrum gesucht, die gibt´s ja reichlich dieser Tage. Und wenn denn alle Papiere geschafft sind, ist schon wieder Wochenende und vielleicht schon wieder alles zu. Am besten wäre gewesen, man hätte sich zum Fest im Kaufhaus einschließen lassen, dann wäre es Anfang der Woche ganz leicht gewesen mit dem Umtausch. Übrigens wäre das auch mit über 10 Personen gutgegangen, da hätte man dann gleich Silvester feiern können, denn so war man praktisch durchgehend in Quarantäne. Und 2022 soll noch arbeitnehmerunfreundlicher werden. Also da sag ich nur: Spendet eure Fehleinkäufe fürs „Fairkaufhaus“ und nehmt euch die Geschenke vom letzten Mal nochmal vor! Und was macht man, wenn man das ganze Jahr umtauschen möchte?


Jahresrückblick 2021
1027. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 22.12.2021

Liebe Jahresrückblickende!

Diese Zeilen erreichen Sie zwischen den Jahren. Und es ist eine Zeit des Nachdenkens: wie war das Jahr? Zuerst die traurige Nachricht: unsere langjährigen Wegbegleiter Horst Meister und Johannes Faber haben uns verlassen. Und wo sie sonst zu erleben waren, fehlt der Wirklichkeit ein Stück. Horst Meister wirkte mit uns seit dem Bordenauer FAUST im Jahre 2000. Er selbst meinte, er spiele kleine und kleinste Rollen. Und steigerte sich mit den Jahren in immer größere Rollen: Unvergessen als Nathan in Lessings Ringparabel, aber auch als Hund beim "Zimmerspringbrunnen". König Lear bei unserer Shakespearewahl, dann der Tangotanz bei der "Landesbühne" von Siegfried Lenz sowie der Erzähler bei Günter Grass „Im Krebsgang“. Und er spielte nicht nur, sondern schrieb auch selbst verrückte Geschichten (siehe diese Kolumne vom 10. Juli 2021). Der Musiker und Gitarrist Johannes Faber mit dem Faber-Hagemann-Quartett bleibt unvergessen, soviel tolle Musik in unseren Lesungen, die unsere dramaturgischen Absichten musikalisch- künstlerisch mitgestalteten. Die Familie schrieb: „Seine liebevolle Art und sein herzliches Lächeln werden für uns immer in Erinnerung bleiben“. Für uns auch! Dann haben wir uns am 3. Oktober 2021 am Kunst- und Handwerkermarkt mit einer eigenen Bühne beteiligt, flankiert vom Leierkasten, der die Menschen auf uns aufmerksam machte; so konnten wir Literatur an die Menschen herantragen. Im „Leineradio“ las Johanna Korte ihre Lebensgeschichte „Fragmente der Erinnerung“, jetzt läuft dort Heinrich Heines „Ich rede von der Cholera“ gelesen von Martin Drebs. Den Volkstrauertag gestalteten wir mit anderen Gruppen aus Bordenau. Zum Weihnachtsmarkt planten wir eine „Weihnachtsgedichtewunschmaschine“, die dann aber etwas Unerwünschtem – der Absage durch Corona - zum Opfer fiel. Beim regionsweiten Dorfwettbewerb moderierten wir mit. Die Leselernhelfer „Mentor“ haben im April den Preis der Stiftung Bordenau bekommen. Und wir feierten die 1000. Kolumne von „Bordenau - Unser Dorf liest“, auch mit unserer tollen Heimatseite! Alles in allem also ein bewegtes Jahr. Wir lesen weiter! Und allen Lesenden ein gutes Jahr! Und im nächsten Jahr blicken wir dann nach vorn auf neue Pläne.


Poetische Utopien
1026. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 17.12.2021

Liebe geflügelte Jahresendsehnsüchtler!

Seit 25 Jahren erscheint hier fast jede Woche diese kleine Kolumne, immer vorzüglich bei kleinen Fehlern betreut durch die gesamte Redaktion: mal ist ein Komma zu wenig, mal ein „H“ bei „Münchhhausen“ zu viel! Aufmerksamkeit, Genauigkeit und Fürsorge prägten die Jahre des Zusammenwirkens. Jetzt wusste ich, Martin Drebs, mal nicht, was ich zu Weihnachten schreiben könnte! Sollte es was Stimmungsvolles sein? Etwas Kritisches über die Zeit? Da bat ich Oliver Seitz um Hilfe und schickte ihm die ersten vier Zeilen einer Persiflage auf das Gedicht von Joseph von Eichendorff:
Markt und Straßen stehn verlassen, kaum erleuchtet jedes Haus, geboostert geh ich durch die Gassen, alles sieht so einsam aus.
Und Oliver dichtete weiter:
„Selbst beim Impfen keine Schlange,
niemand steht dort - oder sitzt,
würd‘ jemand warten, wär‘s für lange,
bis ein Booster ihm gespritzt.
Und ich wandre zu den Mauern
unserer Kirche, denn dort gilt,
noch 3G zum heil‘gen Schauern
so sagt’s zumindest dort ein Schild.
Der Single-Haushalt ist jetzt gut dran,
weil doch „einsam“ sicher ist.
Nur fühlt die Weihnacht sich nicht gut an,
wenn die Lieben man vermisst.
Neue Hoffnung für das Christfest,
gibt es dann im nächsten Jahr.
Mit vierter Impfung ohne Frei-Test
wird ein Weihnachtswunder wahr.“

So haben wir diesmal sogar etwas Gemeinsames gedichtet, eine poetische Kooperation, die ihresgleichen sucht. Mögen die geneigten Lesenden uns die Veränderung des ursprünglichen Textes nachsehen und unsere utopischen Absichten darin spüren. Dir, Oli, ein dickes Dankeschön und „Frohe Tage“ für alle!!


Der Gärtner an den Garten
1025. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 3.12.2021

Liebe Idylliker!

Können wir uns nach all den industriellen Entwicklungen noch romantische Idyllen leisten? Ja, zumindest dann, wenn die Jahreszeiten so tun, als gäbe es sie trotz Klimawandels noch. Und wenn im Norden Neustadts der Winter eingebrochen ist: Poetischer Altmeister Hölty weiß zu berichten, was „der Gärtner an den Garten im Winter“ zu sagen hat, wenn auch in alter Schreibweise!

„In Silberhüllen eingeschleyert
Steht jetzt der Baum,
Und strecket seine nackten Äste
Dem Himmel zu.
Wo jüngst das reife
Gold des Fruchtbaums
Geblinket, hängt
Jetzt Eiß herab, das keine Sonne
Zerschmelzen kan.
Entblättert steht die Rebenlaube,
Die mich in Nacht
Verschloß, wenn Phoebus flammenathmend
Herniedersah.
Das Blumenbeet, wo Florens Töchter
In Morgenroth
Gekleidet, Wohlgeruch verhauchten,
Versinkt in Schnee.
Nur du, mein kleiner Buchsbaum, pflanzest
Dein grünes Haupt
Dem Frost entgegen, und verhöhnest
Des Winters Macht.
Mit Goldschaum überzogen, funkelst
Du an der Brust
Des Mädchens, das die Dorfschalmeye
Zum Tanze ruft.
Ruh sanft mein Garten, bis der Frühling
Zur Erde sinkt,
Und Silberkränze auf die Wipfel
Der Bäume streut.
Dann gaukelt Zephyr in den Blüthen,
Und küßet sie,
Und weht mir mit den
Düften Freude In meine Brust.“


Weihnachtsmarkt mit Kulturprogramm
1024. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 26.11.2021

Liebe Weihnachtsmarktfreunde!

Mit unserem Weihnachtsmarkt in Bordenau wollen wir am Samstag, dem 27.11.2021, ein bisschen Freude und Hoffnung hochhalten, besonders mit dem kulturellen Beiprogramm: Der Posaunenchor Region Mitte eröffnet quasi den Weihnachtsmarkt gegen 14:15 Uhr, Musiker Thorsten Doll und seine Truppe sind dabei und natürlich „Bordenau - Unser Dorf liest.“ Der Gospelchor hat leider abgesagt, weil er drinnen nicht auftreten möchte, und draußen vielleicht das Schneetreiben den Klang dämpft? Das Programm wird im Schützenhaus im hinteren Raum stattfinden – die genauen Zeiten entnehmen Sie bitte den Plakaten; wir von Unser Dorf liest treten wahrscheinlich um 15:15 Uhr auf, unterbrechen jedoch auch gern unser Programm für den Weihnachtsmann. Was kann man sich Schöneres vorstellen, als dem Trubel des Weihnachtsmarktes für ein paar Momente durch stimmungsvolle Musik und gemütliche Geschichten zu entkommen. Bisher trafen wir uns dazu immer in der Kirche, jetzt geht es „schütziger“ zu. Doch unsere Lesungen wurden damals oft zwischen zwei Konzerten aufgerieben: Die einen gingen nach einem Konzert alle, wenn wir anfingen, und die anderen kamen für das nachfolgende Konzert nach und nach dazu, so dass sie die Geschichten und Gedichte nur zur Hälfte mitbekamen und der dramaturgische Faden abriss. Diesmal machen wir das anders: Aus den Erfahrungen der letzten Jahre haben wir uns jetzt mit den Musikern zusammengetan, um Musik und Literatur zu kombinieren. Thorsten Doll sagt dazu: „Wir haben ein paar fröhliche angejazzte Popstücke und natürlich viel Weihnachtliches im Programm.“ Und wir gucken, wer da ist und werden dann unsere heiteren und besinnlichen Gedichte genau auf diese Zuhörer – ob groß, ob klein - zuschneiden. Und wer will, kann sich auch was wünschen oder selbst was vortragen! Also eine Art „Weihnachtsgedichtewunschmaschine“! Und gemeinsam musizieren und lesen wir das Weihnachtsgedicht von Joseph von Eichendorff: “Markt und Straßen stehn verlassen, still erleuchtet jedes Haus...“ Ein Höhepunkt! Auch zu unserer Veranstaltung hintendurch kommt man nur bei Beachtung der allgemeinen Coronaregeln. Herzliche Einladung!


Beginn der 5. Jahreszeit
1023. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 18.11.2021

Liebe Narren und Narrha-lesen!

Zwischen Herbst und Winter schiebt sich traditionellerweise die 5.Jahreszeit: Karneval oder Fastnacht, das dauert dann bis ins Frühjahr. Manche mögen das nicht, dass man sich irgendwie verrückt verkleiden soll, sich beim Rosenmontagsumzug am Straßenrand von LKWs aus mit Bonbons beschmeißen lassen muss, dann sich sinnlos die Kante gibt und mit wildfremden Menschen rumknutscht: „Mundus inversus“ oder „Verkehrte Welt“, wie der Lateiner meint. Doch manche Maske entreißt der Dichter Heinrich Harry Heine, der aus Düsseldorf stammt, dem etwas gekürzten „Schelm von Bergen“:

Im Schloß zu Düsseldorf am Rhein
Wird Mummenschanz gehalten;
Da flimmern die Kerzen, da rauscht die Musik,
Da tanzen die bunten Gestalten.

Da tanzt die schöne Herzogin,
Sie lache laut auf beständig;
Ihr Tänzer ist ein schlanker Fant,
Gar höfisch und behendig.

Er trägt eine Maske von schwarzem Samt,
Daraus gar freudig blicket
Ein Auge, wie ein blanker
Dolch, Halb aus der Scheide gezücket….

»Durchlauchtigste Frau, gebt Urlaub mir,
Mein Anblick bringt Schrecken und Grauen -«
Die Herzogin lacht: »Ich fürchte mich nicht,
Ich will dein Antlitz schauen.«…

Wohl sträubt sich der Mann mit finsterm Wort,
Das Weib nicht zähmen kunnt er;
Sie riß zuletzt ihm mit Gewalt
Die Maske vom Antlitz herunter.

»Das ist der Scharfrichter von Bergen!« so schreit
Entsetzt die Menge im Saale
Und weichet scheusam - die Herzogin
Stürzt fort zu ihrem Gemahle.

Der Herzog ist klug, er tilgte die Schmach
Der Gattin auf der Stelle.
Er zog sein blankes Schwert und sprach:
»Knie vor mir nieder, Geselle!

Mit diesem Schwertschlag mach ich dich
Jetzt ehrlich und ritterzünftig,
Und weil du ein Schelm, so nenne dich
Herr Schelm von Bergen künftig.«

So ward der Henker ein Edelmann
Und Ahnherr der Schelme von Bergen.
Ein stolzes Geschlecht! es blühte am Rhein.
Jetzt schläft es in steinernen Särgen.


Hilfe in der November-Depression
1022. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 11.11.2021

Liebe November-Fühlige!

Manch einer klagt in diesen Wochen über gedrückte Stimmungen. Im Rahmen unseres poesietherapeutischen Service bringen wir hier einige heitere, aber auch nachdenkliche Sprüche zur wohlgemeinten Aufmunterung. Der geneigte Leser mag sich einen Spruch aussuchen, laut und intensiv vorlesen und dann auf die Wirkung achten. Vincent van Gogh sagt dazu: „Statt mich in Verzweiflung gehen zu lassen, habe ich mich für die tätige Melancholie entschieden, insofern Tätigkeit in meiner Macht stand, oder, mit anderen Worten, ich habe die Melancholie, die hofft und strebt und sucht, einer Melancholie vorgezogen, die trübsinnig und tatenlos verzweifelt. Von Markus Weidmann stammt der Hinweis: „Melancholie: das Parfum des Schicksals, der Nebel der Trauer, die Erotik der Depression.“ Und Klaus Ender meint: „Melancholie ist ein Tropfen Wermut aus dem Krug der Depression.“ Victor Hugo weiß: „Melancholie ist das Vergnügen, traurig zu sein.“ Wir erinnern noch an: “Melancholie ist der Versuch, die individuelle Begrenztheit mit der Unendlichkeit des Weltalls zu balancieren.“ Und: Weine nicht, wenn die Sonne so früh untergeht, dann siehst du vor lauter Tränen die Sterne nicht. Also Augen auf und weiterlesen!


Gemeinwohlökonomie
1021. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 29.10.2021

Liebe Leser und geldorientierte Karrieristen!

„Am Golde hängt, zum Golde drängt doch alles. Ach, wir Armen!“ haben wir hier in Bordenau aus Goethes FAUST gelesen. Kennen Sie die kuriose Geschichte von dem Hunderteuroschein, wo nur Geld die Wirtschaft in Schwung bringt?  Ein Mann will in einem Hotel einchecken, legt den „Hunni“ auf den Tresen und will sich die Zimmer angucken. Der Hotelier rennt mit dem Geld zur Reinigung, die ihm jetzt die Bettbezüge reinigen, zu den Bettenbeziehern, zur Küche, alle werden nun tätig. Und am Schluss erreicht der Hunderter wieder den Hotelier, weil einer noch Schulden bei ihm hatte. Und der gibt dieses Papier dem potenziellen Mieter zurück, weil der gar nicht mehr einchecken will. Nicht ganz schlüssig, aber erstaunlich! Denn es ist ein kleiner Wirtschaftskreislauf in Gang gekommen. Das ist ja nur eine Funktion des Geldes, doch läuft es insgesamt auf das sogenannte, geldbasierte Bruttosozialprodukt hinaus. Es ginge auch anders: die Hotelfachkräfte setzen sich zusammen und besprechen die optimalen Arbeitsabläufe, teilen ihre Manpower entsprechend ein, machen Werbung und bestimmen bei möglichen Überschüssen über deren Verteilung mit. Dabei werden Betriebe, die nachhaltig, auch umweltgerecht und menschenfreundlich wirtschaften, staatlich begünstigt. Und es geht noch besser: wenn sich eine ganze Gesellschaft gemeinsam, offen und demokratisch überlegt, wie die Steuergelder verteilt werden können für Bildung, Gesundheit, Wohnen, Umwelt und die Alten. Um diese Möglichkeiten der so genannten „Gemeinwohlökonomie“ geht es in einem ganztägigen Seminar der VHS Hannover Land am Samstag, dem 13. November 2021. (Die NZ berichtete) Und etwas Geld kostet es auch:10 Euro plus Spende; Also einfach mal ein bisschen Phantasie in eine gestaltbare Zukunft entwickeln und so den Koalitionsverhandlungen auf die Sprünge helfen! Wie sang schon Udo Jürgens: „Es gibt Sehnsucht, Träume, nachts das Rauschen der Bäume. Es gibt Treue, Freunde, jemand, der zu dir hält: Was wirklich zählt auf dieser Welt, bekommst du nicht für Geld.“ Sollte sich der olle Goethe diesmal doch geirrt haben?


„Hälfte des Lebens“
1020. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 22.10.2021

Liebe Leser und Freunde von Gedichten!

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“: Ermutigung von Friedrich Hölderlin (1770 bis 1843); er war ein deutscher Dichter, der zu den bedeutendsten Lyrikern seiner Zeit und der deutschen Sprache überhaupt zählt. Beispiel gefällig?

„Hälfte des Lebens“
„Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.“


„Fragmente der Erinnerung“
1019. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 15.10.2021

Liebe Freunde der Lebenserinnerungen!

Sie liest weiter, die tapfere Johanna Korte, und zwar aus ihrer Lebensgeschichte „Fragmente der Erinnerung“. Dabei beschreibt sie ihren beeindruckenden Lebensweg aus den Masuren durch den Krieg nach Hannover und Neustadt-Bordenau in teils heiteren, teils anrührenden Geschichten. Am Montag, den 18.10.21 , in der Dorfwerkstatt im Birkenweg 3a ab 15.30 Uhr ist es wieder soweit! Diesmal wird es familiär spannend: Renate, ein Kind von Tante Elise wird dabei sein, die seinerzeit unter dramatischen Umständen auf dem Bahnhof zurückgelassen wurde. Und das war passiert: Im Juni 1944 war Tante Elise mit ihren drei kleinen Kindern, Wolf vier, Sigrid drei und Renate zwei Jahre alt zu Besuch in den Masuren. Als sich die Schreckensmeldungen des Krieges häuften, entschloss sie sich, die ländliche Idylle zu verlassen und zurück nach Hannover zu reisen, wo sie mit ihrer Familie schon lebte. Elise war hochschwanger! Der Großvater brachte die Familie mit dem Pferdefuhrwerk nach Lyck zum Bahnhof. Als sie auf dem Bahnsteig den Zug erwarteten, setzten plötzlich die Wehen ein. In aller Eile wurde Elise ins Krankenhaus gebracht und gebar ihr viertes Kind, ihren Sohn Dieter. In der Aufregung wurden die drei kleinen Geschwister einfach „vergessen“ und mutterseelenallein auf dem Bahnsteig zurückgelassen. Zufällig waren eine Verwandte und ein weiterer Dorfbewohner aus Skomanten, Johannas Heimatdorf, auf dem Bahnhof. Die sahen die Kinder und nahmen sie in ihre Obhut. In Skomanten wurden die „Findelkinder“ den Großeltern übergeben. Wenige Tage später konnte Elise mit ihren nun vier kleinen Kindern die Fahrt nach Hannover antreten, begleitet von ihren Schwestern Emma und Erna. Sie wollten Elise mit ihren vier Kindern nicht allein reisen lassen. Die Fahrt endete zunächst in Delitzsch bei Leipzig, weil Hannover wegen der Bombenangriffe nicht erreichbar war. Erst einige Monate später konnten sie nach Hannover weiterreisen. Ihre Wohnung war aber zerbombt. Für wenige Tage wurden sie in der Notunterkunft im Bunker Am Welfenplatz untergebracht. Im „Leineradio“ liest Johanna Korte am Sonntag um 19 Uhr aus ihrem Buch und live eben am Montag in Bordenau. Neben Cousine Renate werden noch einige andere Familienmitglieder dabei sein! Es sind noch ein paar Plätze frei; es wird um Voranmeldung unter 05032-4434 gebeten. Der Eintritt ist frei.


Lesung am Tag der deutschen Einheit
1018. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 2.10.2021

Liebe Einheitsfreunde!

Morgen ist doch „Tag der deutschen Einheit“? Gibt´s den überhaupt noch? Nach der letzten Wahl ist ja vieles „deutschlich“ noch geteilt. Macht an diesem Feiertag „Bordenau - Unser Dorf liest“ nicht immer eine besondere Lesung mit feierlichen und bedeutsamen Texten und Liedern? Also im DGH singt abends der Shantychor Lohnde. Und tagsüber? Da ist der Kunst und Handwerkermarkt auf dem Schulhof. Ach so! Und da hat „Bordenau liest“ selbst einen Stand, einen Theaterkarren, da machen wir volles Programm: Gedichte und Balladen und Lieder mitten im Trubel des Marktes. Und für die Kinder gibt es die sieben Streiche von Wilhelm Buschs „Max und Moritz“. Und es gibt einen tollen Leierkasten, der eröffnet das Programm. Wer heraushört, was der Leierkasten – bereitgestellt von Rolf Göhring- spielt, bekommt einen Buchpreis aus der Bücherbude Bordenau. Und zu den Moritaten zeichnet Ralf Hempel lustige und treffende Zeichnungen, die kann man hinterher kaufen. Da sind unsere Mitleser ja richtig volkstümlich geworden und lachen und singen und tanzen dabei. Kann man denn an so einem Tag ausgelassen feiern, wo die Wahl so manche regionalen Unterschiede hat deutlich werden lassen? Wird denn die „Ampel-“ oder „Jamaika-Koalition! die Einheit vollenden, das entscheiden diesmal die jüngeren Kräfte. Und wie ist das Motto für den „Tag der deutschen Einheit“? Deutschland singt! Bordenau auch, zum Beispiel die Bordenau- Hymne von Andreas Hagemann - nach einem vom Leierkasten intonierten Europalied; dann ist die „Ballade von der deutschen Einheit“ geplant. Mitten im Trubel, mitten unter den Menschen und nah an ihnen dran. Also, geht doch! Es gibt zwölf bis fünfzehn Minuten Programm zur vollen Stunde; und die Standgebühren will man durch die Sammelbüchse wieder reinholen.


Demokratie funktioniert nur mit Wählern - und benötigt Wahlhelfer
1017. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 26.9.2021

Liebe Wählerinnen und Wähler!

Heute, so kurz vor der Bundestagswahl lauschen wir einem Gespräch zwischen Carla Walentin und Gisbert Kaufhof:
- Also, du kannst da morgen wählen.
- Was soll ich denn wählen?
- Du hast auf jeden Fall eine Wahl.
- Warum denn Wahl? Wozwischen wähle ich denn?
- Es gibt unterschiedliche Positionen zur Gestaltung der Welt.
- Ja, aber wenn ich wähle, geschieht das dann auch, was ich will?
- Nicht unbedingt, denn da sind ja viele andere, die auch wählen.
- Das ist aber blöd.
- Das ergibt sich aus der großen Zahl der Menschen, die alle in diesem Land mitmachen wollen, und da kann was anderes heraus kommen, als das, was du willst.
- Und wenn ich nicht wähle? - Das wäre schade. Du solltest froh sein, dass es sowas gibt. Die Wahl macht dich frei und stark. Und wenn alle respektieren, dass man wählen kann, also die Wahl hat, respektiert man sich doch wohl und versucht beim nächsten Mal, seine Positionen durchzubringen.
- Gibt es denn auch Wahlen, die dazu führen, dass die Wahlen abgeschafft werden?
- Eigentlich nicht! Das letzte Mal war 1933, und die war vielleicht gefälscht. Aber heutzutage wird richtig ausgezählt, dafür sorgen die guten Wahlhelfer und der sorgfältige Wahlvorstand, alles Verfassungspatrioten.
- Na, gut, dann geh ich da mal hin. Mal gucken, was da raus kommt.
- Das ist gut!


„Das Trauerspiel von Afghanistan“
1016. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 15.9.2021

Liebe Freunde des historisierenden Gedichts!

Wir bringen hier ja oft die Klassiker, Fontane zum Beispiel. Wunderbar seine „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ oder der Roman „Effi Briest“. Hier eines seiner Gedichte aus dem Jahre 1859:

„Das Trauerspiel von Afghanistan“ – in alter Schreibweise.
Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt,
Ein Reiter vor Dschellalabad hält,
„Wer da!“ – „„Ein britischer Reitersmann,
Bringe Botschaft aus Afghanistan.““
Afghanistan! er sprach es so matt;
Es umdrängt den Reiter die halbe Stadt,
Sir Robert Sale, der Commandant,
Hebt ihn vom Rosse mit eigener Hand.
Sie führen ins steinerne Wachthaus ihn,
Sie setzen ihn nieder an den Kamin,
Wie wärmt ihn das Feuer, wie labt ihn das Licht,
Er athmet hoch auf und dankt und spricht:
„Wir waren dreizehntausend Mann,
Von Cabul unser Zug begann,
Soldaten, Führer, Weib und Kind,
Erstarrt, erschlagen, verrathen sind.
„Zersprengt ist unser ganzes Heer,
Was lebt, irrt draußen in Nacht umher,
Mir hat ein Gott die Rettung gegönnt,
Seht zu, ob den Rest ihr retten könnt.“
Sir Robert stieg auf den Festungswall,
Offiziere, Soldaten folgten ihm all’,
Sir Robert sprach: „Der Schnee fällt dicht,
Die uns suchen, sie können uns finden nicht.
„Sie irren wie Blinde und sind uns so nah,
So laßt sie’s hören, daß wir da,
Stimmt an ein Lied von Heimath und Haus,
Trompeter, blas’t in die Nacht hinaus!
Da huben sie an und sie wurden’s nicht müd’,
Durch die Nacht hin klang es Lied um Lied,
Erst englische Lieder mit fröhlichem Klang,
Dann Hochlandslieder wie Klagegesang.
Sie bliesen die Nacht und über den Tag,
Laut, wie nur die Liebe rufen mag,
Sie bliesen – es kam die zweite Nacht,
Umsonst, daß ihr ruft, umsonst, daß ihr wacht.
Die hören sollen, sie hören nicht mehr,
Vernichtet ist das ganze Heer,
Mit dreizehntausend der Zug begann,
Einer kam heim aus Afghanistan.“


Kann eine Orgel digitalisiert werden?
1015. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 9.9.2021

Liebe Orgelfreunde!

Die Orgel der Bordenauer St. Thomaskirche soll demnächst restauriert werden. Wie fühlt sie sich vor diesem Eingriff? Hänschen Schlaumeier nennt die Orgel - wegen ihres berühmten Vaters Christian Bethmann - etwas respektlos nur einfach `Betti´. Das hört sie nicht so gerne. Aber Betti ist auch eine kleine Plaudertasche und geht trotzdem bereitwillig auf alle an sie gerichteten Fragen ein.
Hallo Betti!
Sag nicht immer `Betti´ zu mir!
Ja, Betti! Aber darf ich dich mal was fragen´?
Meinetwegen! Schieß´ los!
Wenn du jetzt total überholt wirst, könnte man da deine Klangerzeugung nicht gleich digitalisieren?
Quatsch! Ne richtige Orgel hat Pfeifen!
Aber wir leben doch heute im Zeitalter der Computer und Digitalisierung! Ich sah neulich bei einem namhaften Feinkostladen ein E-Piano für unter 90 €!
Jetzt halt aber mal die Luft an! Ich bin eine Orgel! Wir Orgeln zählen zum ideellen Weltkulturerbe, wir sind das Instrument des Jahres 2021!
Du meinst also: „Kunst hat´s schwer, doch Mist kommt immer an!“?
Nein das habe ich nicht gesagt! Jedes Instrument an seinen Ort, jedes für seinen Zweck!
Aber leben wir jetzt nicht alle im 21. Jahrhundert?
Ja, stimmt! Aber wir Menschen sind immer noch analog! Unsere Augen und Ohren werden auch in Zukunft analog bleiben. Ja, selbst unsere Enkel werden mit dem Mund essen und trinken und nicht an einer Ladesäule aufgeladen.
Du meinst also, wir sollten zum Auftanken lieber zu dir in die Kirche kommen?
Ich würde mich freuen, dich da wiederzutreffen! Vielleicht frage ich dich dann, was du hören möchtest! Aber tu´ mir bitte einen Gefallen: lass deine CDs bitte zuhause! Ich werde auch nach meiner Restaurierung kein Laufwerk haben!
Ach, übrigens Digitalisierung, liebe Leute, Ihr könnt zum Auftaktgottesdienst zum Projekt „Orgel retten - Wohlklang bewahren" am Sonntag um 10 Uhr in die St.Thomas-Kirche auch so kommen, ohne Euch groß elektronisch anzumelden; nur diese drei G-Regeln und das bisschen Abstand, das schafft ihr schon; und ich klinge besonders stark, damit alle mich hören können!


Wann wird es im Theater wieder hell?
1014. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 28.8.2021

Liebe Lesende!

Bald geht es vielleicht wieder los mit dem lebendigen Theatererlebnis, wie einige Male ja schon auf der Otternhagener Waldbühne. Dieser Tage stießen wir auf ein Zitat des Intendanten des Bochumer Schauspielhauses Johan Simons: „Wir haben zunächst gefilmt, kleine neue Stücke, geschrieben für unser Ensemble, inszeniert als Kurzfilme. Aber etwas fehlte. Erst wenn jemand zuschaut, wird es hell. Wenn jemand anders als wir selbst, die wir es machen, zuschaut. Erst dann ist es Theater. Wir haben gemerkt, dass das, was uns so selbstverständlich erschien, etwas Besonderes ist und unersetzlich: dass Menschen, die zuschauen, mit ihrem Blick verändern, was wir tun, es vervollständigen.“ Diese gegenseitige Resonanz kann uns keine „Mattscheibe“ ersetzen. Freuen wir uns auf unsere erwünschte Mitwirkung!


Gesa Elsner: "Lichtlinien"
1013. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 21.8.2021

Liebe Lesende!

Dieser Tage haben wir noch über die Buchkunstpresse von Peter Marggraf berichtet, heute können wir über eine weitere literarische Köstlichkeit unserer Neustadter Dichterin Gesa Elsner berichten: "Lichtlinien", frisch gedruckt in Berlin und von Stefan Cseh in Forchheim hochwertig handgebunden, vereint das Künstlerbuch "Lichtlinien" Linoldrucke des Dresdener Künstlers Steffen Büchner und Gedichte eben der Lyrikerin Gesa Elsner aus Neustadt. Die "Lichtlinien" wurden in der Corvinus Presse von Hendrik Liersch veröffentlicht, der in seiner Kunstdruckerei 2019 mit "Eva" bereits das erste gemeinsame Künstlerbuch konzipierte und herausgab. Lichtlinien und Licht hält Büchner in wunderbar präzisen und reduzierten Arbeiten für den Betrachter fest, auch wenn in ihnen menschliche Einsamkeiten - auch während der Corona-Pandemie -dokumentiert werden. Das Spiel von Hell und Dunkel bestimmt dann auch die Gedichte Gesa Elsners, sowie die Idee des Philosophen Jean Paul: "Sprachkürze gibt Denkweite." Im Künstlerbuch "Lichtlinien" finden sich insgesamt 11 signierte Linoldrucke und 8 Gedichte, gedruckt auf 230g Alt Lünen- Bütten aus der Hahnemühle von 1584. Es ist in einer Auflage von nur 22 Exemplaren erschienen. Lesen wir das Gedicht „sieben dornen“:
„was ich einst mit mir führte
apfelschnitze und birkenrinde
ein zicklein
meine muttersprache und süßen rauch
sieben dornen gegen sieben arten einsamkeit
heute kommt nicht einmal mehr
der wind mir nah
so hocke ich in wänden
was wärmt mich was heilt
nicht die art einsamkeit blieb
die ich wählte
mein atem ist eng
die welt ergießt sich in weite“


“Diesen Ball hat er nicht richtig gelesen”
1012. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 14.8.2021

Liebe Lesende!

Eine kleine olympische Nachlese: Georg Bernard Shaw sagt über dieses Sportereignis: „Olympische Spiele sind eine wundervolle Gelegenheit, Zwietracht auch unter solchen Nationen zu stiften, die sonst keine Reibungsflächen haben.“ Nun mit China hat Deutschland einige Kontroversen, doch sportlich war das packende Finale im Tischtennis wieder eine professionelle Angelegenheit. Nun kennt in China kennt jedes Schulkind Timo Boll; doch wenige Neustädter erinnern sich an die Kolumne vom 27.8.2008 an dieser Stelle: „Eine ganz kuriose Lesart ergab sich in der letzten Woche bei den Olympischen Spielen in der Disziplin Tischtennis. Sportkommentator Michael Creutz berichtet über das Finale zwischen Malin für China und Timo Boll für Deutschland im Mannschaftsfinale der Herren. Dabei sagte Creutz, Timo Boll könne aus kurzer Distanz die Aufschrift auf dem Tischtennisball lesen, auch wenn sich dieser mit hoher Geschwindigkeit bewege. Und daraus, wie sich die Schrift drehe, könne er eben den Spin des Balles ermitteln, um seine Antwort, nämlich den siegreichen Schlag, vorzubereiten. Und Sportkommentator Michael Creutz steigerte sich im Laufe seiner Reportage noch: “Diesen Ball hat er nicht richtig gelesen”. Jetzt also wissen wir, wie wir auch den Letzten noch ans Lesen bekommen: schreiben Sie Ihren Brief einfach auf einen Tischtennisball und spielen Sie mit ihrem Partner! Dass diese Art zu lesen allerdings nicht vor übriger Blindheit schützt, gab wohl Timo Bolls Ehefrau zur Kenntnis: “ Wenn am Boden dreckige Wäsche rumliegt, sieht er das nicht!” Merke: Nicht jeder, der die Aufschrift von Hochgeschwindigkeitsbällen lesen kann, eignet sich auch gut für die so wichtige Hausarbeit!“ Ich habe, bevor ich diese Kolumne schrieb, noch schnell die Küche gemacht, aber ich habe ja auch kein Silber gewonnen.


Zwei Ameisen
1011. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 7.8.2021

Liebe Leser-innen und außen!

Alles geht wieder auf Reisen oder plant sie zumindest, und Joachim Ringelnatz beobachtet dabei zwei Ameisen:
„In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.
So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.“


Peter Marggraf
1010. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 31.7.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

1996 gründete der Bildhauer Peter Marggraf die San Marco Handpresse. Er setzt Texte und Gedichte mit der Hand oder auf der Linotype in Blei und druckt diese dann auf einem Handtiegel. Er bindet die einzelnen Lagen mit der Hand zu Büchern und legt Originalgrafiken hinein. Peter Marggraf lebt seit 1974 in Bordenau und einige Zeit des Jahres in Venedig. Dort zeichnet und druckt er. Alle Bücher und Grafiken sind auf Büttenpapieren gedruckt, sie sind nummeriert und signiert und werden in einer kleinen Auflage hergestellt. So sind Bücher von Rilke, Trakl, Heine, Büchner, Kafka, oder von Celan und Bachmann entstanden.Diese Bücher werden von europäischen und amerikanischen Buchliebhabern gesammelt. Das Land Niedersachsen kauft von jedem Buch ein Exemplar an, die in der Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek in Hannover aufbewahrt werden. Im Buch- und Schriftmuseum in Leipzig, im Dommuseum Hildesheim und im Deutschen Literaturarchiv in Marbach sind ebenfalls zahlreiche Arbeiten von Peter Marggraf vorrätig. Seit 2009 gibt es in der San Marco Handpresse die kleine weiße Buchreihe „I libri bianchi“. In dieser Reihe werden Texte oder Gedichte grafischen Arbeiten von Peter Marggraf gegenübergestellt. Eine kleine Reihe mit Reproduktionen als Bebilderung. Digital gedruckt in einer Auflage von 100 Exemplaren. Inzwischen ist der 46. Band erschienen. Jedes Buch, handgebunden, fadengeheftet mit Schutzumschlag, signiert und nummeriert, kostet 25 Euro. Der 44. Band dieser Reihe galt dem Dichter Hans Georg Bulla aus der Wedemark. Das Buch mit den Gedichten von Hans Georg Bulla und den Malereien von Peter Marggraf trägt den Titel „Ein letztes Blau in die Augen gerieben“. Hier eine Leseprobe:

„Erntefeld“
Hinter dem Mähdrescher
aufmerksam und aufrecht
gehen zwei Störche.
Sie sehen, was sie sehen
und manchmal fahren
ihre Schnäbel zu Boden.
Übers Feld zieht der Staub
der Ernte und der Qualm
aus dem Diesel.


Ulrike Draesner: "Schwitters"
1009. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 17.7.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Am Dienstag, dem 27. Juli 2021, kommt um 19 Uhr die mehrfach prämierte Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ulrike Draesner nach Neustadt in den Rosenkrug. Im Rahmen einer Veranstaltung des „Philosophischen Cafes“ wird Draesner einen Auszug aus ihrem Roman „Schwitters“ (erschienen 2020) vorstellen, der zeigt, wie Schwitters Elemente der Natur des Lake District in seinen letzten Merzbau überträgt, was der Roman wiederum in Sprache übersetzt. Und sie entführt uns mit ihrem  „Natur Schreiben“, zu Deutsch „Nature Wrigting“ an den Nordpol: „Ich bin ver/rückt, alles schaukelt schürft knarzt, ich gebe meine gesamten Ersparnisse aus, verzichte auf Komfort, Fisch statt Cappuccino, was hast du denn gedacht, Handy sinnlos, Bluetooth-Kopfhörer sinnlos, Empfang: null, zero, nada, Schluss. Man kann sich eine Emailverbindung kaufen, ich verzichte. Arktische Stille? Nicht so einfach wie gedacht. Alles hier hat eine andere Bedeutung. Kein Sonnenuntergang, kein Sonnenaufgang, nichts als dieses minimale Sonnenschwanken, diese Zitterbewegung am Lichthimmel, dieses irritierende Hängen, diese Endlosigkeit. Ein Lachen des Lichts. In Ny Ålesund werfe ich eine Karte in einen roten Kasten. Nördlichstes Postamt der Welt. Brandgänse stolzieren in den Wiesen zwischen Messapparaten. Hinter dem Ankermast, von dem die Polarforscher Amundsen und Nobile im Mai 1926 im Heißluftballon zum Nordpol starteten, endet die Welt – keineswegs. Hier ändert sie sich. Zeichenlos bleiben und nur „denken“ an jemanden oder etwas. Die Welt, das, was wir gemeinhin so nennen, wird ersetzt durch etwas, das anfangs wirkt wie ein Bild: Wind, Sonne, glitzerndes Eis. Ist das Wirklichkeit?“


Sommerwind
1008. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 7.7.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Horst Meister hat in den letzten Jahrzehnten oft beim lesenden Dorf mitgemacht. Er hat ebenso viele schöne Geschichten und Gedichte erfunden. Hier sein „Sommerwind“:
„Hei, Sommerwind!
Ich singe dir ein Lied.
Ich liebe es,
wenn du im Frühjahr
ins frische, grüne Blattwerk fährst
und die Kronen sich neigen.
Ich liebe es,
wenn du die Wolken treibst
und sie zu immer neuen
Bildern modulierst.
Ich liebe es,
wenn du in der Sommerhitze
die dünnen Kleider der Frauen
umwehst und sie an ihre
Körper drückst und das
Schöne an den Frauen
sichtbar machst.
Ich liebe es,
wenn du die erhitzten und
schweißnassen Gesichter mit
herrlicher Kühle streichelst
und sie dein Frische
atmen lässt.
Ich liebe es,
wenn du über die Getreidefelder
streifst und sie wie bewegtes
Wasser erscheinen.
Ich fürchte die Zeit,
wenn der feuchte West
und der kalte Nord
dich vertreiben.
Ich warte
auf dich und den
nächsten Sommer.“


Reiseschuhe
1007. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 24.6.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Barbara Weißköppel aus Kleinheidorn hat uns ein neues Gedicht mit dem Titel „WESER“ und den typischen Großbuchstaben geschickt:
DER STROM, GLITZERNDES
BAND AUS WASSER UND LICHT,
BREIT DURCHZIEHT
ER DAS LAND, GIBT
IHM GESICHT,
SPIEGELT WOLKEN UND
HIMMEL, SPRICHT
MIT GRÜNDENDEN UFERN
GIBT VÖGELN SCHUTZ
UND LEBENSRAUM, IST
BILD VON VERGANGENHEIT,
GEGENWART, IST
ZUKUNFTSTRAUM.


Reiseschuhe
1006. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 3.6.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Selbst der olle Eichendorff freut sich über die Lockerungen:
„Mich brennt´s in meinen Reiseschuh´n,
Fort mit der Zeit zu schreiten -
Was sollen wir agieren nun
Vor so viel klugen Leuten?

Es hebt das Dach sich von dem Haus
Und die Kulissen rühren
Und strecken sich zum Himmel 'raus,
Strom, Wälder musizieren!

Da gehn die einen müde fort,
Die andern nah´n behende,
Das alte Stück man spielt's so fort
Und kriegt es nie zu Ende.

Und keiner kennt den letzten Akt
Von allen, die da spielen,
Nur der da droben schlägt den Takt,
Weiß, wo das hin will zielen.“


Erinnerungen eines alten Mannes
1005. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 20.5.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Paul Cornelius hat uns einen eindrucksvollen Text über die Erinnerungsversuche eines alten Mannes geschickt: „Mühsam schleppte er sich die Treppe hinauf, die Schritte fielen ihm schwer, jede Stufe schien höher, und er schnappte nach Luft. Er schlurfte weiter, stützte sich am Türrahmen ab und setze sich dann etwas umständlich an seinen Schreibtisch; er hatte vergessen, warum er nach oben wollte. Seine Gedanken kreisten und kreisten um Gedanken, die gedankenlos durch seinen Kopf trieben. Die Erinnerung versuchte sich zu erinnern, daran, dass er doch eigentlich nicht alleine war in der Dunkelheit des Alterns! Lächelnde Gesichter liefen, rasten, hetzten wie „Eisenbahnscheibengesichterflitzer“ auf seiner inneren Leinwand knapp vor seinen Augen vorbei. Vorbei! Nur flüchtende Nähen, blitzartige gaukelnde Versprechungen wie bunte süße Kaugummikugeln in übervollen Automaten sich immer wieder dem billigen Zugriff entziehend. Absichtslos griff er nach dem Fotoalbum und blätterte beiläufig durch die Seiten wie durch einen Katalog, der alles versprach und nichts hielt. Doch ab und an überschnitten sich die inneren Gesichter mit zufällig offen liegenden Abbildern, und er meinte, jemand erkennen zu können, der mit ihm war dereinst, ihn wirklich meinte, ihn ausgemacht hatte. Die kleinen Schwarzweißbilder der Wälder legten ab und zu helle Punkte frei: Pilze! Natürlich waren es die Pilze, an sie konnte er sich erinnern, sie hatten sie gepflückt – mit übergroßer Freude, sie gefunden zu haben, bunt auffällig, in der Fülle des Überflusses, auch jene, von denen sie ahnten, sie könnten sich berauschend daran vergiften, aber es war nur ein weiterer Spiegel ihrer unendlichen Verliebtheit, ein Unterpfand ihrer reinen Liebe, die durch nichts zerstört werden konnte, im Gegenteil, die Gefahr des nahen Todes und dessen Scheitern machte ihre Liebe unzerstörbar. Er lehnte sich zurück, schmeckte die Bittersüße der Erinnerung und schloss die Augen.“


Die Mainacht
1004. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 13.5.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Unser Marienseer Altmeister Ludwig Hölty (1748-1776) schmachtet mit uns durch:

Die Mainacht
Wenn der silberne Mond durch die Gesträuche blickt,
Und sein schlummerndes Licht über den Rasen streut,
Und die Nachtigall flötet,
Wandl' ich traurig von Busch zu Busch.
Selig preis' ich dich dann, flötende Nachtigall,
Weil dein Weibchen mit dir wohnet in einem Nest,
Ihrem singenden Gatten
Tausend trauliche Küsse gibt.

Überschattet von Laub, girret ein Taubenpaar
Sein Entzücken mir vor; aber ich wende mich,
Suche dunkle Gesträuche,
Und die einsame Träne rinnt.

Wann, o lächelndes Bild, welches wie Morgenrot
Durch die Seele mir strahlt, find' ich auf Erden dich?
Und die einsame Träne
Bebt mir heißer die Wang herab.


Mein Pfirsichbaum
1003. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 28.4.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Sie gilt als die Meisterin der kleinen poetischen Form: Gesa Elsner. Jetzt hat sie zusammen mit der Stadtbibliothek Neustadt am Rübenberg zu einem Schreibwettbewerb eingeladen: „Gedanken, Gedichte, Geschichten, ein Haiku, einen Brief, ein Lied, gesammelt, gereimt, gesetzt oder geschüttelt – schreibe und gestalte, und ab damit ins Kästchen, ins Wortkästchen.“ Alles zum Thema Frühling!“ Jeden Sonntag, um ca. 16.45 Uhr können nun alle Literaturinteressierten auf Leineradio einem besonderen Hörgenuss lauschen. Dann und am folgenden Sonntag zur selben Uhrzeit werden einige der eingereichten Wortschätzchen vorgestellt; diesmal das Gedicht „Frühling 2021“ von Gisela Rahlfs, gelesen von Marita Hütig. Und Gesa Elsner bleibt die kleine poetische beeindruckende Form:

„Frühling
mein pfirsichbaum
will tausend blüten treiben
verheißungsvoll
lächelnde gesichter werden sie
allesamt“


MASKENBALL
1002. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 28.4.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Viele Künstler haben sich in letzter Zeit auch mit Masken beschäftigt. So erreichte uns auch das Gedicht MASKENBALL von Dietrich Krome aus Wunstorf:

Es war im Jahre zwanzigzwanzig:
Man ging hinaus – nahm sich was mit.
Vergaß die Maske dabei nicht,
Verbarg damit halb sein Gesicht –
Zum Maskenball, der ganz legal
Auf einmal angeordnet war.

Man stand herum und dachte sich:
Die Mode hilft mir dabei nicht!
Es herrscht Corona-Maskenpflicht,
Wo man sich sonst – so gerne trifft!
Der Maskenball ist angesagt –
Kaum jemand davon angetan.

Man verstand und sagte sich:
Der Zwang gilt ja nicht überall.
Hat allein dann ungefragt
Die Maske einfach fallen lassen –
Und befreit ganz unumwunden
Wieder zu sich selbst gefunden.


„Das Märchen vom Märchen“
1001. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 22.4.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Was machen wir in der 1001.Kolumne? Wir bringen ein Märchen aus 1001.Nacht. Scheherazade Annegret erzählt „Das Märchen vom Märchen“: Es war einmal ein Märchen, das hatte alle Märchen, Geschichten, Bilder und Symbole in sich; alle Meere, alle Berge und Wälder, Gold und Könige, aber auch dunkle Schatten, Hexen und Wölfe. Das Märchen zog wohlgemut durch die Welt und wo immer es hinkam, setzten sich die Menschen zusammen und hörten mit erstauntem Herzen zu. Wenn das Märchen erzählte, so hörten die Menschen jeweils das, was sie verstanden und ihnen guttat. Die Kinder hofften zurecht auf das gute Ende, die Großen waren von der tiefen Weisheit berührt. Und das fand unser Märchen aller Märchen wunderbar. Aber als die Menschen dazu übergingen, die Ganzheit des Lebens im andern Menschen nicht mehr wahrzunehmen, da wurde das Märchen sehr, sehr traurig und zog sich auf die höchsten Gipfel der Berge zurück. Und nur, wenn es zwei Menschen gelingt, sich über ihre hellen und dunklen Seiten auszutauschen und den anderen wieder als Ganzes wahrzunehmen, so wird aus den Quellen der Berge wieder das Wasser des Lebens sprudeln, und das Märchen aller Märchen wird sich in die Wellen stürzen und sich zu Tal dem Meere zutragen lassen, um die Welt wieder zu vervollkommnen.






Die Kolumne feiert ein großes Jubiläum

1000. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 15.4.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

 


Klaus Detering (links) und Martin Drebs

Nach dem sensationellen BORDENAUER FAUST im Jahre 2000, bei dem über 70 Akteure in über 15 Stunden das gesamte Werk von Goethe vor vielen hundert Menschen lasen, wollte Martin Drebs eigentlich mit den Kolumnen an dieser Stelle aufhören. Martin, mach´ doch weiter, ist ein ganz schönes Format, sagte ich zu ihm. Und heute erscheint tatsächlich die 1000. Kolumne – in Worten: die Tausendste! Das ist in der heutigen Zeit des steten Wandels ein selten gewordenes Jubiläum. Nachzulesen sind sie alle im Internet auf der Bordenauer Heimatseite www.bordenau.de, wo ich sie als Betreiber der Homepage seit 1999 eingepflegt und mitgezählt habe. Fast gleichzeitig und fast jede Woche wurden die Kolumnen von Martin Drebs auch in unserer Neustädter Zeitung veröffentlicht. Und eigentlich fehlen auf der Homepage noch zahlreiche Kolumnen, denn die Aktion begann bereits 1997 als Public-Relation-Idee zwischen dem Eigner Klaus-Dieter Nülle und Martin Drebs, der damals gerade mit ein paar Literaturbegeisterten und der Unterstützung seiner Frau Marita das Projekt „Bordenau – Unser Dorf liest“ aus der Taufe hob - zusammen übrigens mit dem Friedrich-Bödecker-Kreis, Hannover. Dabei begleitete die hervorragende Redaktion eines der ältesten Anzeigenblätter Deutschlands den Autor immer sehr gut bei der Bearbeitung und Realisation seiner Texte. Mal enthalten sie ein kleines Gedicht zur Jahreszeit, mal einen engagierten Jahresrückblick, mal neue Texte lokaler Autoren und häufig Tipps zur Kulturvielfalt in Neustadt. Nicht alle Texte sind von Martin Drebs, aber immer wieder durch ihn aus der unendlichen Fülle des Lesbaren ins Lesenswerte gehoben worden, grundsätzlich auch mit der Zustimmung der jeweiligen Autoren. Entstanden ist eine einzigartige Sammlung welthaltiger, heiterer, nachdenklicher, auch politisch engagierter Texte, die im Neustädter Land und in den Weiten des World Wide Web ihre geneigten Leser und Leserinnen finden – gendergemäß ab 2001 geändert von „Hochverehrte Leserschaft“ in „Liebe Leserin! Lieber Leser!“. Es gab auch kritische Rückmeldungen, etwa wenn fälschlicherweise der Eindruck entstand, der Autor spräche für das ganze lesende Bordenau. Dank sei der Neustädter Zeitung gesagt, die die Geduld und Kontinuität aufbrachte – zuerst zu Recht skeptisch, wenn man bedenkt, dass diese Kolumne die Einzige ist, die die Zeit überstanden und sie letztlich so besiegt hat. Lieber Martin, bitte schreib weiter, wir werden weiterlesen und so wird die Kolumne weiterleben. Und ich werde sie gerne weiter auf bordenau.de dokumentieren und mitzählen! Ihr Klaus Detering


Ein Frühlingsgedicht
999. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 31.3.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Friedrich Hölderlin schickt uns in die Ostertage 2021 ein Frühlingsgedicht vom „15 Merz 1842“:
„Wenn neu das Licht der Erde sich gezeiget,
Von Frühlingsreegen glänzt das grüne Thal und munter
Der Blüthen Weiß am hellen Strom hinunter,
Nachdem ein heitrer Tag zu Menschen sich geneiget.
Die Sichtbarkeit gewinnt von hellen Unterschieden,
Der Frühlingshimmel weilt mit seinem Frieden,
Daß ungestört der Mensch des Jahres Reiz betrachtet,
Und auf Vollkommenheit des Lebens achtet.“


Die Leselernhelfer
998. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 27.3.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Kurz vor 1000.Kolumne von „Bordenau liest“ schnürt man in Berlin den „Nationalen Lesepakt“. Man liest erstaunt: „Lesen ist die Grundlage von Bildung, Eigenständigkeit und Miteinander. Damit alle Kinder und Jugendliche in Deutschland gut lesen können, haben die Stiftung Lesen und der Börsenverein des Deutschen Buchhandels gemeinsam mit derzeit rund 150 Partnern den Nationalen Lesepakt initiiert.“ Mit dabei „MENTOR – Die Leselernhelfer“: „Lesezeit schenken und Lesefreude wecken, - das gelingt den deutschlandweit 13.000 ehrenamtlichen Lesementoren unter dem Dach des MENTOR – Die Leselernhelfer Bundesverbands e.V. Sie sind in rund 100 regionalen Vereinen organisiert und lesen einmal wöchentlich mit einem Kind oder Jugendlichen. Dabei fördern sie seine Lesekompetenz und sein Selbstvertrauen ganz individuell und bekommen viel Freude „zurück“. Die „Leselernhelfer Hannover e.V.“ gibt es schon seit 2003, initiiert durch Buchhändler Otto Stender und andere. Den Bordenauer Ableger gibt es schon seit 2005. Werner Schmidt, ein Leselernhelfer der ersten Stunde berichtet: „2005 entsteht die Mentorgruppe Scharnhorstschule Bordenau mit drei Personen, die auch heute noch dabei sind. Im Verlauf der Jahre haben sich bis zu acht Personen aus Bordenau mit Bordenauer Kindern beschäftigt. Die meisten Kinder haben die Unterstützung gern angenommen, einige zögernd, abwartend. Durch Erlebnisse (Sport, Ausflug) fand sich häufig der Weg zu einem Buch, daraus resultierend ein erfolgreiches Vorlesen, Lesen, Verstehen und die entsprechende, inhaltliche Wiedergabe. Zu vielen Kindern entsteht ein Vertrauensverhältnis, sie sind dankbar für die Aufmerksamkeit und die Zuwendung, die ihnen zuteilwird. Eine wichtige Rolle spielt auch –Mentorinnen, Mentoren sind keine Lehrer -, es gibt keine Noten, der Lesestoff wird gemeinsam ohne Kritik erarbeitet. Nicht nur ernste Arbeit, manches Gesellschaftsspiel und einfach nur Gequatsche waren Verbindungsglieder. Eine Mentorin schreibt: „Wir lesen aus dem Buch „Der kleine Vampir. „L., unsere kleine Schauspielerin, möchte am liebsten das Gelesene nachspielen.“ Zu einem meiner Lesekinder fand ich überhaupt keinen Zugang, M. machte nur das Nötigste. Per Zufall erfuhr ich von seinem technischen Interesse für Eisenbahntechnik. Eisenbahntechnik, der Türöffner! Noch heute bin ich mir seines Grußes quer über die Straße sicher. Manchmal bekamen wir auch kleine Geschenke - ein kleines Bild, ein lieb eingepacktes Bonbon, ein geübter, stolz vorgelesener Text. Nun ist Mentor- Bordenau, durch Corona etwas ausgebremst, hoffen wir, dass möglichst bald wieder Leselernhilfe möglich sein wird.“ Und er zitiert James Daniel „Bücher sind fliegende Teppiche im Reich der Fantasie.“ Und Bordenau war schon immer wieder für vieles vorbildlich!


Harrys kleine Maskenkunde
997. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 11.3.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Heute haben wir wieder unseren Komiker Harry Lewandowski eingeladen. Er berichtet in „Harrys kleiner Maskenkunde“ über einen ganz normalen Tag in seinem Leben: „Also, Tag zusammen. Mein ganz normaler Tag inmitten schwieriger Zeit. Ich stehe also morgens auf und gucke in den Spiegel und frage mich, wer ist das denn? Aber ich wasch ihn trotzdem. Und danach möchte ich an die frische Luft, also müsste ich eine Maske anlegen. Der gehäkelte „Schnutenpulli“ von Tante Hedwig, der gilt nicht mehr; die hellblaue Medizinische, die fusselt so seit drei Wochen, aber die FFP2 Maske, die ist auch schwierig, wenn ich da einatme, dann legt die sich immer so ans Gesicht, wie eine Membran, da krieg ich kaum Luft drunter. Aber gut, dass ich sie aufhabe, ich habe nämlich meinen Zahnersatz nicht an! Was heißt eigentlich FFP2-Maske? Für Freunde Plus 2, oder? Das wäre mal eine Fangfrage für Jauch. Also, ich das Ding aufgesetzt, aber erst falsch rum, die haben da nämlich so Pfeifenputzer drin, damit man die an die Nase pressen kann, egal wie dick die ist. Dann bin ich los zum Maschsee, Joggen! Dafür gelten besondere Regeln: beim Laufen braucht man keine Maske aufsetzen, aber wenn du anhälst zum Dehnen und so, dann ja, obwohl man gerade da ganz außer Atem ist. So komme ich kurz vor Vier zum Steinhuder Meer, was soll ich sagen, alles voll, tausend Leute, super Wetter. Auf einmal reißen sich viele die Masken runter, ich sag, Leute, was macht ihr denn da? Sagt so ein kleiner Junge zu mir: „Ja haben Sie denn das Schild nicht gesehen? Maskenpflicht von 10 bis 16 Uhr.“ Ich denke bei mir, das ist ja wohl ein „Schild“bürgerstreich! Die Zeiten wurden mittlerweile geändert. Aber noch immer besser als in Düsseldorf das sogenannte „Verweilverbot“, da kann ich mir nicht mal mehr die Schuhe zubinden. So komme ich abends denn nach Haus. Da sagt meine Frau zu mir: „Wie siehst du denn aus? Ich kenne dich nicht mehr!“ Und ich denke, geht mir ganz genauso! Da bin ich dann mit Maske schlafen gegangen und hab mir die ganz weit über die Augen gezogen, damit ich das ganze Elend nicht mehr sehen musste. Also bleibt gesund, wünscht euch euer Harry Lewandowski!“


Neustädter WORTkästchen
996. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 4.3.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Heute unterstützt das lesende Bordenau mal wieder das schreibende Neustädter Land für den beginnenden Frühling : „Ab ins Kästchen…“ Das Neustädter WORTkästchen – ein Ort für Deine Worte! Was immer Du dem WORTkästchen anvertrauen möchtest: Gedanken, Gedichte, Geschichten, ein Haiku, einen Brief, ein Lied, gesammelt, gereimt, gesetzt oder geschüttelt – schreibe und gestalte, und ab damit ins Kästchen! Wir werden versuchen, Poesie sichtbar zu machen. Fundstücke, Herzensdinge, Erinnerungen, Wünsche, Kitsch oder Kunst, ersonnen, gesponnen, erlebt, geträumt – schreibe und gestalte, und ab damit ins Kästchen! Wir werden versuchen, Poesie auszustellen, gedruckt zu veröffentlichen, in Lesungen zu präsentieren, ins Radio bringen. „Ab ins Kästchen“ dürfen selbst verfasste Worte mit Namensnennung, unter einem Pseudonym oder anonym. Indem Du Deine Worte ins Kästchen legst, übergibst Du die Rechte zur Veröffentlichung der Stadtbibliothek Neustadt am Rübenberge. Allerdings sind wir nicht zu einer Veröffentlichung verpflichtet. Das Neustädter WORTkästchen bietet als Inspiration und um über Poesie ins Gespräch zu kommen, wechselnde Texte zum Lesen und Mitnehmen an („to go“ und kostenlos). Vielleicht findest Du hier bald Deine Worte?! Erreichbar ist das Neustädter WORTkästchen zu den Öffnungszeiten der VHS Hannover Land oder postalisch unter der Adresse der Stadtbibliothek Neustadt: Suttorfer Straße 8, 31 535 Neustadt am Rübenberge. Ansprechpartnerinnen für das Projekt Neustädter WORTkästchen sind Melanie Röver, Stadtbibliothek Neustadt, und Gesa Elsner, Lyrikerin. Aktionen und Termine (Lesungen, „Gedicht des Monats“, Schreibworkshops…) rund um das WORTkästchen erfährst Du in der Stadtbibliothek, auf der Homepage der Stadtbibliothek, in den Zeitungen, auf Instagram und Facebook und im leineradio. Wesentlich bestärkt wurden wir in unserer Idee, Poesie im Alltag zu sammeln und darzustellen, durch den Münchner Poesiepostkasten® der Künstlerin Katharina Schweißgut, bereits seit 2013 ein Ort für Worte. In Augsburg, Mülheim/Ruhr und Lübeck (seit September 2020) finden sich weitere Lyrik- Briefkästen. Wir freuen uns sehr auf WORTschätzchen im Neustädter WORTkästchen! Jetzt im März sammeln wir Frühlingsentdeckungen: Ermutigendes poetisches Beispiel von August von Platen gefällig? “Winterlied/Geduld, du kleine Knospe/Im lieben stillen Wald,/Es ist noch viel zu frostig,/Es ist noch viel zu bald./Noch geh ich dich vorüber,/Doch merk ich mir den Platz,/Und kommt heran der Frühling,/So hol ich dich, mein Schatz.“


Was macht man mit sturen Schneehaufen?
995. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 28.2.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Kennen Sie die auch? Diese sturen Schneehaufen, die einfach nicht weggehen wollen, auch wenn das schönste Wetter kommt? Überall liegen sie noch in der Gegend herum, meist in verschatteten Garageneinfahrten und murmeln etwas fast Unverständliches vor sich hin:
„Keiner guckt uns mehr an! Im Gegenteil, man hasst uns und will uns weghaben! Letzte Woche waren wir noch ein gemeinsamer Teil eures winterlichen Vergnügens mit Schneeballschlacht und Skilanglauf und winterlichen Landschaften. Jetzt will uns keiner mehr wahrhaben. Dabei sind wir zu diesem Frühlingsbeginn auch noch da, halten uns tapfer als Erinnerung an die schöne Zeit. Denn nur wer den Winter kennt, weiß den Frühling zu schätzen: das Aufbrechen der Natur, das Hervorknospen der vielen farbigen Blumen und die neue warme würzige Luft. Aber nein! Uns schimpft man noch aus: ´Was wollt ihr noch hier? Schleicht´s euch fort.´ Doch wir bleiben noch, ruckeln uns in der Wärme ein wenig zusammen und schmelzen dann gerne dahin in die neue Zeit und verflüchtigen uns in den unendlich blauen Himmel. Denn auch wir freuen uns an eurem Glück der Wiederkehr und des Aufbruchs.“
Wenn Sie also noch einen solchen weißgrauen Haufen sehen, seien Sie nachsichtig und vorsichtig mit ihm, streicheln ihn sanft und vielleicht machen Sie noch einen Schneeball aus ihm, das hat er nämlich gern!


„Ich habe dich so lieb!"
994. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 19.2.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Joachim Ringelnatz liebt heute:
„Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.“


In de Bütt da steht der Spahn
993. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 11.2.2021

Liebe Narren! Liebe Liebende!

In diesem Jahr fallen der Valentinstag und Karneval zusammen. Beginnen wir mit einem Liebesgedicht. Ophelia singt in Shakespeares HAMLET:
„Auf morgen ist Sankt Valentins Tag,
Wohl an der Zeit noch früh,
Und ich, ’ne Maid, am Fensterschlag,
Will sein eu’r Valentin.
Er war bereit, thät an sein Kleid,
Thät auf die Kammerthür,
Ließ ein die Maid, die als ’ne Maid
Ging nimmermehr herfür.“

Und dat mitten im Karneval:
In de Bütt da steht der Spahn, datt is dä Mann, der alles kann; dat erste Virus hat ihn noch geschockt, dann hatt der die Pandemie gerockt. Und macht auch gleich den Experten-Check, mit Kekula, Lauterbach und Dr.Streek. Janz beliebt in Deutschlands Osten, is dä Wuschel-Podcast-Drosten. Dann jab et nach der ersten eine zweite Welle, und die dritte folgt in aller Schnelle; zum Lockdown kam der der Flockdown noch; jetzt bewegt sich ja nix mehr, und doch: Wir woll´n uns alle lassen impfen, lass doch die Hütchenträger schimpfen; et heißt, die Pikse sind janz ungefährlich; dat müssen die ja sagen vom Institut Paul Ehrlich. Wenn dereinst dem Virus geh´n die Wirte aus, da verbringen mer en paar schöne Tach Zuhaus, da lasse mer die Masken sanft heruntergleiten, und loben Fried- und Frisörszeiten.


„An eine Passantin“
992. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 4.2.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

In diesem Jahr fallen der Valentinstag und Karneval zusammen. Beginnen wir mit einem Liebesgedicht, nicht eines für die lang und ewig Verliebten, sondern für die, die nur durch einen Blick – in dieser Zeit des eingeschränkten Gesichts - getroffen: mit Charles Baudelaires (1821 bis 1867) Gedicht „An eine Passantin“ in der Übersetzung von Stefan George (1868 bis 1933); stellen Sie sich dabei bitte auf das besondere Schriftbild ein, die Texte sind in gemäßigter Kleinschreibung gesetzt:
„Es tost betäubend in der strassen raum.
Gross schmal in tiefer trauer majestätisch
Erschien ein weib · in finger gravitätisch
Erhob und wiegte kleidbesatz und saum ·
Beschwingt und hehr mit einer statue knie.
Ich las · die hände ballend wie im wahne ·
Aus ihrem auge (heimat der orkane):
Mit anmut bannt mit liebe tötet sie
Ein strahl… dann nacht! o schöne wesenheit
Die mich mit EINEM blicke neu geboren ·
Kommst du erst wieder in der ewigkeit?
Verändert · fern · zu spät · auf stets verloren!
Du bist mir fremd · ich ward dir nie genannt ·
Dich hätte ich geliebt · dich die’s erkannt.“


Ein winterliches Gedicht
991. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 28.1.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Heinrich Heine schickt uns heute ein winterliches Gedicht:
„Mag da draußen Schnee sich türmen,
Mag es hageln, mag es stürmen,
Klirrend mir ans Fenster schlagen,
Nimmer will ich mich beklagen,
Denn ich trage in der Brust
Liebchens Bild und Frühlingslust.“


Ein Silberstreif am Horizont
990. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 21.1.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Viele Versammlungen, auch bei den Vereinen, kommen im Moment nicht zustande. Auch viele regelmäßige Freundschaftstreffen nicht! So treffen wir uns seit den 90ern mit einer Gruppe von tollen Menschen, die wir auf Island kennengelernt haben. Nun schrieben die Freunde zum Jahreswechsel einen Gruß, der auf sehr treffende Weise unsere Lage schildert: „Liebe Freunde der Mitternachtssonne, Wasserfallfans, Warmbader in vulkanisch aufgeheizten Bächen und Schwarzer-Tod-Schlaftrunkkonsumenten, ein einengendes Jahr ist zu Ende gegangen und normalerweise erwartet man, daß sich dann das ´Neue Jahr´ wie eine Tür zu einem neuen Raum auftut. Dieses Mal ist ein Kuriosum passiert: Man ist durch diese Tür getreten und hat sich unerklärlicher Weise wieder im scheinbar gleichen Raum vorgefunden und das obendrein in dessen dunkelster Ecke, dem Lockdown. Der Unterschied ist nur, daß irgendwo durch eine Ritze ein Lichtstrahl fällt, sozusagen ein Silberstreif am Horizont. Auf diesen setzen wir jetzt alle unsere Hoffnungen, und sie mögen auch in Erfüllung gehen. Dann ist es auch an der Zeit, daß der glücksverheißende Schornsteinfeger bei allen vorbeischaut, egal ob er nun auf dem Glücksschwein reitet oder mit dem Fahrrad kommt. Nur - und das ist jetzt meine Überlegung - kommt der, wenn die Kamine verrußt sind, also zum Ende der Heizperiode. Das wird also noch ein wenig dauern. Bis dahin: Bleibt gesund! Schöne Stunden, Freude und Glücksmomente werden sich dann wieder einstellen und vielleicht auch das Islandtreffen, auch wenn`s dann eventuell schon Herbst ist. Ein gutes ´Neues Jahr´ verbunden mit einem hoffnungsvollen Blick nach vorn wünschen Euch herzlich! Walter und Ella.“  


"Die Grippe und die Menschen"
989. Artikel der Aktion UNSER DORF LIEST vom 15.1.2021

Liebe Leserin! Lieber Leser!

Dieser Tage geistert ein satirisches Gedicht durch die Medien: „Als Würger zieht im Land herum/ Mit Trommel und mit Hippe,/ Mit schauerlichem Bum, bum, bumm,/ Tief schwarz verhüllt die Grippe./ Sie kehrt in jedem Hause ein/ Und schneidet volle Garben -/ Viel rosenrote Jungfräulein/ Und kecke Burschen starben./ Es schrie das Volk in seiner Not/ Laut auf zu den Behörden:/ "Was wartet ihr? Schützt uns vorm Tod /- Was soll aus uns noch werden?/ Ihr habt die Macht und auch die Pflicht/ - Nun zeiget eure Grütze - /Wir raten euch: Jetzt drückt euch nicht./ Zu was seid ihr sonst nütze!/ 's ist ein Skandal, wie man es treibt./ Wo bleiben die Verbote? Man singt und tanzt, juheit und kneipt./ Gibt's nicht genug schon Tote?"/ Die Landesväter rieten her/ Und hin in ihrem Hirne./ Wie dieser Not zu wehren wär',/ Mit sorgenvoller Stirne:/ Und sieh', die Mühe ward belohnt./ Ihr Denken ward gesegnet:/ Bald hat es, schwer und ungewohnt,/ Verbote nur geregnet./ Die Grippe duckt sich tief und scheu/ Und wollte sacht verschwinden -/ Da johlte schon das Volks aufs Neu'/ Aus hunderttausend Mündern:/ "Regierung, he! Bist du verrückt -/ Was soll dies alles heißen?/ Was soll der Krimskrams, der uns drückt,/ Ihr Weisesten der Weisen?/ Sind wir den bloß zum Steuern da,/ Was nehmt ihr jede Freude?/ Und just zu Fastnachtszeiten - ha!"/ So gröhlt und tobt die Meute./ "Die Kirche mögt verbieten ihr,/ Das Singen und das Beten -/ Betreffs des andern lassen wir/ Jedoch nicht nah uns treten!/ Das war es nicht, was wir gewollt./ Gebt frei das Tanzen, Saufen./ Sonst kommt das Volk - hört, wie es grollt,/ Stadtwärts in hellen Haufen!"/ Die Grippe, die am letzten Loch/ Schon pfiff, sie blinzelt leise/ Und spricht: "Na endlich - also doch!"/ Und lacht auf häm'sche Weise./ "Ja, ja - sie bleibt doch immer gleich/ Die alte Menschensippe!"/ Sie reckt empor sich hoch und bleich/ Und schärft aufs neu die Hippe." Ist dieses satirische Gedicht im ersten oder zweiten Lockdown entstanden? Mitnichten! Das Gedicht ist über 100 Jahre alt und heißt: "Die Grippe und die Menschen" und ist erschienen in der schweizerischen Satirezeitschrift "Nebelspalter" in Nr. 10 vom 06.03.1920.



E-Mail an den Webmaster  -  Zur Startseite Bordenau - Aktuell  -  Impressum
Copyright "Bordenau im Internet" - Stand: 27. Dezember 2021