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Arbeitskreis "Unser Dorf liest"Kolumnen - Archiv 2023 |
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Das Lieben der Anderen!
Zur Zeit entsteht ein neues Buch mit dem Titel: „Das Lieben der Anderen“. Der Autor Paul Cornelius hat uns vorab einen Einblick in seine Schreibwerkstatt gewährt: Die spannende Erzählung spielt in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in Bordenau in der Nähe der Ziegelei, genauer im Riethaus, einem von Hannoveraner Familien erbauten Haus, die dort auch für ihre Jugendgruppen am Wochenende Angebote schaffen wollten.
Die Erzählung beruht auf einer wahren Begebenheit: Am Rand des Dorfes an der Leine finden sich Mitte der 1930er Jahre junge Menschen zu gemeinsamen Unternehmungen zusammen. Ihre Art, miteinander um zu gehen, ihre Vorstellungen vom Leben und der Liebe passen nicht in jene Zeit, die von großen gesellschaftlichen Veränderungen begleitet wird. Die liebevolle Offenheit und die sehnsuchtsreichen, dennoch respektvollen Annäherungen zwischen den jungen Leuten widersprechen der sich diktatorisch durchsetzenden Moral des „neuen“ Deutschen: „Flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“.
Das steht in krassem Gegensatz zu den Vorstellungen der Jugendlichen, die im Riethaus zusammenkommen. Die sind den Nazis ein Dorn im Auge. Deshalb setzt die Gestapo einen jugendlichen Spitzel ein, der das Leben und Lieben der Gruppe ausspionieren und durch regelmäßige Berichte an die Geheimpolizei Vorwände zur Auflösung der Einrichtung liefern soll - über einen „toten“ Briefkasten an der Straße nach Frielingen. Doch das Lieben der Anderen beginnt den Spitzel zu faszinieren, er offenbart sich dem Leiter und von da ab schreiben sie die Berichte gemeinsam….
Heinrich Heine wendet sich an seine Mutter!
Ich bin′s gewohnt, den Kopf recht hoch zu tragen,
Mein Sinn ist auch ein bisschen starr und zähe;
Wenn selbst der König mir ins Antlitz sähe,
Ich würde nicht die Augen niederschlagen.
Doch, liebe Mutter, offen will ich′s sagen:
Wie mächtig auch mein stolzer Mut sich blähe,
In deiner selig süßen, trauten Nähe
Ergreift mich oft ein demutvolles Zagen.
Ist es dein Geist, der heimlich mich bezwinget,
Dein hoher Geist, der alles kühn durchdringet,
Und blitzend sich zum Himmelslichte schwinget?
Quält mich Erinnerung, dass ich verübet
So manche Tat, die dir das Herz betrübet?
Das schöne Herz, das mich so sehr geliebet?
Ja, dreht sich denn alles im Kreise?
Fortschritt, Erneuerung, Stillstand, Rückbesinnung oder ewige Wiederkehr? Für manche wiederholt sich das Leben und das Schicksal. Und auch das Glück bleibt flüchtig. Der folgende Text stammt nach einer mittelalterlichen Vorlage aus der szenischen Kantate
„Carmina Burana“ von Carl Orff:
„Glück, die Kaiserin der Welt. O Fortuna! Wie der Mond so veränderlich, Wachst du immer oder schwindest! Schmähliches Leben! Erst misshandelt, dann verwöhnt es spielerisch den wachen Sinn. Dürftigkeit, Großmächtigkeit, sie zergehn vor ihm wie Eis. Schicksal, ungeschlacht und eitel! Rad, du rollendes! Schlimm dein Wesen, dein Glück nichtig, immer im Zergehn! Überschattet und verschleiert kommst du nun auch über mich. Um des Spieles deiner Bosheit trag ich jetzt den Buckel bloß. Los des Heiles und der Tugend sind jetzt gegen mich. Willenskraft und Schwachheit liegen immer in der Fron. Drum zur Stunde ohne Saumen rührt die Saiten! Wie den Wackeren das Schicksal hinstreckt; alle klagt mit mir!“
Wem gehört der 1. Mai?
Dem Frühling? Den Arbeitenden! Den Dichtern? Den Frühjahrsoffensiven? Den Wandervögeln? Oder den Grünschnäbeln?
Dem Gregorianischen oder Julianischen Kalender?
Den Ewiggestrigen als „Tag der nationalen Arbeit“? Den Nationalen? Oder Internationalen? Gehört er nicht eigentlich der internationalen Arbeitsteilung? Vielleicht sogar Olympia? Und schweigen die Waffen während der Spiele?
Gehört er den Feiernden? Und wenn er auf einen Sonntag fällt, was dann?
Den Tanzenden? Den Rauschbereiten? Den Rabatzmachern? Den Müttern? Den Verliebten?
In einigen Schweizer Kantonen gewissen Schutzheiligen? Gar Josef, dem Arbeiter?
Gehört er den Maiglöckchen? Den Gartenbauern? Den „ausschlagenden“ Bäumen?
So viele Fragen! Klar ist:
Er gehört zu uns! Und er ist der erste Tag des Rests unserer Leben. Genießen wir dankbar den schönen Tag, und dass wir lesen können und dass diese Zeitung uns dazu den Mut macht!
Bleiben Sie am Lesen!
So verabschiedet Thea Dorn immer ihre Gäste beim „Literarischen Quartett“. Ob das nun richtiges Deutsch ist oder nicht, lassen wir mal dahingestellt. Jetzt hat auch die
„Apotheken-Umschau“ in ihrer Ausgabe vom 15. März das Thema aufgegriffen mit dem Titel: „Lesen, weil´s gesund macht!“ Die Recherche von Vincent Suppé und Laura Patz ergab, wofür wir uns schon seit Jahrzehnten starkmachen. Hier einige Zitate daraus: „Lesen ist für viele nur ein Hobby. Doch der Blick ins Buch, Magazin oder auf das Tablet beeinflusst unsere Gesundheit…Lesen gegen Demenz. Das Demenzrisiko der Lesenden betrug nach 14 Jahren nur noch 54 Prozent vom Demenzrisiko der Nicht-Leser…Kindern bitte vorlesen! So positiv wirkt Vorlesen auf die Entwicklung von Kindern: mehr Empathie, besserer Wortschatz, bessere Konzentration und Lernkompetenz, bessere Beziehung zwischen Vorlesenden und Kindern.“ Die Autoren wissen, wovon sie reden; schließlich haben sie nach eigenen Angaben 17,8 Millionen Leser monatlich. Doch die Mediadaten der „Neustädter Zeitung“ sind auch gut. Und in Bordenau haben wir viele Lesehelfer, die auch noch den Förderpreis der Stiftung Bordenau erhalten haben. Ach ja, und es gibt in Bordenau sogar unsere
„Bücherbude". Da kann man Bücher leihen und vieles mehr! Ja, wo ist die denn? Na, in der Bordenauer Apotheke, wo denn sonst! Lesen was gesund macht. Also beim nächsten Mal, wenn Sie ein Rezept einlösen und die „Apotheken-Umschau“ mitnehmen, schnell mal einen Blick in die Bücherbude!
Wir lesen weiter!
„Bordenau - unser Dorf liest“ am 3.Oktober 2023 aus dem Buch von
Florian Illies „Liebe in Zeiten des Hasses: Chronik eines Gefühls 1929–1939“, kombiniert mit Gedichten und Originalzitaten der ausgewählten Künstler, unter anderem Mascha Kaleko, Bertolt Brecht und Erich Maria Remarque. Ferdinand von Schirach meint dazu: »Lesen Sie bitte dieses Buch, es ist hinreißend. Ich habe so viel Neues erfahren, über die Liebe, die Kunst und das Grauen.«
In einem virtuosen Epochengemälde erweckt Florian Illies die dreißiger Jahre, dieses Jahrzehnt berstender politischer und kultureller Spannungen, zum Leben.
Als Jean-Paul Sartre mit Simone de Beauvoir im Kranzler-Eck in Berlin Käsekuchen isst, Henry Miller und Anaïs Nin wilde Nächte in Paris und »Stille Tage in Clichy« erleben, F. Scott Fitzgerald und Ernest Hemingway sich in New York in leidenschaftliche Affären stürzen, fliehen Bertolt Brecht und Helene Weigel wie Katia und Thomas Mann ins Exil. Genau das ist die Zeit, in der die Nationalsozialisten die Macht in Deutschland ergreifen, Bücher verbrennen und die Gewalt gegen Juden beginnt.
1933 enden die »Goldenen Zwanziger« mit einer Vollbremsung. Florian Illies führt uns zurück in die Epoche einer politischen Katastrophe, um von bekannten Liebespaaren der Kulturgeschichte zu erzählen: In Berlin, Paris, im Tessin und an der Riviera stemmen sich die großen „Geister“ der Zeit gegen den drohenden Untergang. Eine mitreißend erzählte Reise in die Vergangenheit, die sich wie ein Kommentar zu unserer verunsicherten Gegenwart liest: Liebe in Zeiten des Hasses.
Dann lasst uns aufstehen!
Der engagierte Schweizer Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti hat bereits 1970 ein ambitioniertes Ostergedicht geschrieben:
1. Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme,
erst dann die Herrschaft der Herren,
erst dann die Knechtschaft der Knechte
vergessen wäre für immer,
vergessen wäre für immer.
2. Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
so weiterginge wie immer,
so weiterginge wie immer.
3. Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden,
ist schon auferstanden und ruft uns nun alle
zur Auferstehung auf Erden,
zum Aufstand gegen die Herren,
die mit dem Tod uns regieren,
die mit dem Tod uns regieren.
Nun ist er endlich kommen doch! Dank Theodor Fontane!
„Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh.
»Er kam, er kam ja immer noch«,
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum
er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh',
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du!“
Nun ist er endlich kommen doch! Dank Theodor Fontane!
„Nun ist er endlich kommen doch
in grünem Knospenschuh.
»Er kam, er kam ja immer noch«,
die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
nun treiben sie Schuss auf Schuss;
im Garten der alte Apfelbaum
er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
und atmet noch nicht frei,
es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
und die lange Winterruh',
es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du!“
Feder trifft Farbe!
Zwei Neustädter Autoren wirken seit Jahren mit in der Wunstorfer Textschmiede. Und die hat sich in den letzten Wochen reichlich mit der Bildenden Kunst beschäftigt. So besuchte die Gruppe eine Schreibwerkstatt im Sprengel-Museum und schrieb beeindruckende Texte zu den Bildern von Bernd M. Langers Ausstellung im Rosenkrug in Neustadt. Jetzt traf sie sich mit der Künstlergruppe um Simone Albrecht in Blumenau, um eine weitere Kooperation von Literatur und Kunst auf Augenhöhe auszuloten. Dabei drehen unsere Dichter den Spieß einmal um und beschreiben wortmalerisch ein Bild, das später von den Künstlern gemalt werden soll. In der Kurzgeschichte von Wilfried Benthin aus Neustadt „Ich versuche ein Bild zu malen“ springen einen die Elemente förmlich an, es gerät ein Schiff in Seenot und man hört sogar etwas:
„Wir Menschen sehen die Welt in allen Farben, also nehme ich meine Farbpalette zur Hand. Noch erscheint die Leinwand in einem nichtssagenden Weiß. Der Wind lässt das halboffene Fenster in meinem Zimmer klappern, und ich habe eine Idee. Ich male dunkle Wolken, die fast bedrohlich die obere Hälfte des werdenden Bildes einnehmen. Wie von Geisterhand wandert der Pinsel darüber hinweg und gestaltet es noch intensiver. Nun überlege ich nicht lange und beginne mit dem Rest, eine durch den Sturm hoch aufgetürmte See zu malen. Im Vordergrund überschlagen sich die Wellen, und die weißen Schaumkronen sprühen ihre Gischt förmlich aus dem Bild heraus. In der Ferne sind die Decksaufbauten eines Schiffes zu erkennen, das um sein Dasein kämpft. Ich trete zwei Schritte zurück, betrachte mein Werk und meine, „Dit-dit-dit, daaa-daaa-daaa, Dit-dit-dit“ im Hintergrund zu hören.“
Und jetzt gucken wir mal, welches Bild daraus - gemalt - entsteht! Wir berichten weiter!
Alle Jahreszeiten wieder!
Johanna Korte leitet mit Engagement und Empathie
den Literaturzirkel „Jahres-Zeiten-Poesie“ für an Literatur interessierte
und begeisterte Frauen und Männer in der "Dorfwerkstatt“ in Bordenau im
Birkenweg! Einmal im Monat montags von 14.45 - 16.15.Uhr. Und eben am
nächsten Montag, dem 13.März 2023, auch wieder. Der Gesprächskreis wurde vor
drei Jahren schon eingerichtet, dazwischen kamen einige Krisen, jetzt kommen
die Jahreszeiten doch wieder, wie die zum Beispiel von Hoffmann von
Fallersleben:
„Oh, wie ist es kalt geworden
und so traurig, öd und leer!
Rauhe Winde wehn von Norden,
und die Sonne scheint nicht mehr.
Schöner
Frühling, komm doch wieder,
lieber Frühling, komm doch bald.
Bring uns
Blumen, Laub und Lieder,
schmücke wieder Feld und Wald!“
Woher kommt unsere Liebe zum Meer und die ewige Sehnsucht nach einer Insel?
Die Fähre braucht vom Festland eine Stunde auf die kleine Nordseeinsel, manchmal länger, je nach Wellengang. Hier lebt in einem der zwei Dörfer seit fast 300 Jahren die Familie Sander. Drei Kinder hat Hanne großgezogen, ihr Mann hat die Familie und die Seefahrt aufgegeben. Nun hat ihr Ältester sein Kapitänspatent verloren, ist gequält von Ahnungen und Flutstatistiken und wartet auf den schwersten aller Stürme. Tochter Eske, die im Seniorenheim Seeleute und Witwen pflegt, fürchtet die Touristenströme mehr als das Wasser, weil mit ihnen die Inselkultur längst zur Folklore verkommt. Nur Henrik, der Jüngste, ist mit sich im Reinen. Er ist der erste Mann in der Familie, den es nie auf ein Schiff gezogen hat, nur immer an den Strand, wo er Treibgut sammelt. Im Laufe eines Jahres verändert sich das Leben der Familie Sander von Grund auf, erst kaum spürbar, dann mit voller Wucht.
Klug und mit großer Wärme erzählt Dörte Hansen vom Wandel einer Inselwelt, von alten Gesetzen, die ihre Gültigkeit verlieren, und von Aufbruch und Befreiung, alles in ihrem neuen Buch „Zur See“. Und das in einer Sprache, die ihren treffenden Witz aus ihrem Buch „Altes Land“ und die stimmungsvolle Wehmut aus „Mittagsstunde“ in eine dralle, raue Weise überhöht, die uns mitreißt!
Neustadt Helau! Rübenberge Alaaf!
Nu is et widder Karneval /Da lache und scherzen se widder all /
Doch bleibt dat Lachen im Halse stecken, /et jibbt ja kaum noch richtige Jecken.
Wo Fastnachtswitz mit feinem Stift / Verspritzt sonst parodistisch lustig Jift,
Da haut die Zimmermann mit gröbstem Scherz / Auf unsern humorlos trock´nen Merz.
Da wartet mancher, dat die Quote kütt, / und verliert sich nuhr in seiner Bütt.
Dä Schröder schreddert Rübenberge,
Oliver welkt so vor sich hin,
und Jan böhmert sich durch sein Investigativ,
so fällt der kleine Mann janz, janz tief:
Nach Pandemie, Klima, Krieg und solche Sache,
hat der ja nich mehr viel ze Lache.
Ja Neustadt, an schöner Leine festgemacht,
hier wird neben den Mühen sonst auch viel gelacht.
Doch wenn einer will sein Haus verkaufen für teures Jeld
Dann „Augen auf“. wem dat ins Auge fällt!
Hier werden Brücken eingerissen noch und nöcher,
über fertige darf man nich: sind da noch Löcher?
Gemeinwohlökonomie muss sich extra gründen,
Um Verfassungsansprüche neu zu erfinden.
Und sprachlich sitzen wir auf Regions Rändern
Und können ohne Melissa jetzt alleine gendern.
Da fällt et wirklich schwer, noch laut zu lachen – gemeinsam oder alleine
Am Wasserfall, vorm Schreibtisch oder an unserer schönen Leine.
„Man gab mir einen Körper“!
Das Gedicht stammt aus der Feder des russischen Dichters Ossip Mandelstam (1891 – 1938):
„Man gab mir einen Körper — wer
Sagt mir, wozu? Er ist nur mein, nur er.
Die stille Freude: atmen dürfen, leben.
Wem sei der Dank dafür gegeben?
Ich soll der Gärtner, soll die Blume sein.
Im Kerker Welt, da bin ich nicht allein.
Das Glas der Ewigkeit — behaucht:
Mein Atem, meine Wärme drauf.
Die Zeichnung auf dem Glas, die Schrift:
Du liest sie nicht, erkennst sie nicht.
Die Trübung, mag sie bald vergehn.
Es bleibt die zarte Zeichnung stehn.“
Wir lesen weiter!!
Nach der Absage der letzten großen Lesung zum „Tag der Deutschen Einheit“ war es lange nicht klar, wie es mit unserem lesendem Dorf weitergehen könnte. Jetzt hatten die Leiter Annegret Scholz und Martin Drebs viele der aktiven Vorleser zu einem Konzeptionsgespräch eingeladen. Der Tenor der Einladung war noch etwas scheu und unsicher: „Wir sind alle älter geworden - reifer? - und die Kräfte reichen oft nicht mehr hin. Junge Nachfolger sind noch nicht in Sicht. Dies` Schicksal teilen wir uns mit vielen anderen Einrichtungen, und vielleicht soll es ja auch zu Ende gehen: würdig, heiter und poetisch!“
Aber Pustekuchen! Es geht weiter! Wir lesen weiter! Und haben uns schon ein Buch ausgewählt – dazu demnächst mehr. Und das wollen wir in Auszügen auch gerne wieder am 3. Oktober vorlesen. Bestens vorbereitet wie immer, besonders aufs gute Vorlesen, aber nicht mehr mit dem ganzen Drumherum: Die Kunstsporthalle abdunkeln, das Orchester aufbauen, die Lichtanlage aussteuern und vieles andere mehr.
Dabei wünschen wir uns, dass unser verehrtes Publikum wiederkommt und es zu schätzen weiß, wenn wir aus dem Lesbaren das Lesenswerte auswählen.
Der alte Mann und das Mehr
Am Samstag, dem 18. Februar 2023, um 20 Uhr gibt es ein Poetry-Slam-Show mit
Klaus Urban im Gymnasium Neustadt.
Mit dem Auftritt des Ehepaars Verena und Klaus Urban bietet der Abend einen weiteren, besonderen Leckerbissen. Denn die Ehepartner treten auch im Team auf und setzen ihre Beiträge gekonnt im Duett in Szene:
„Der alte Mann und das Mehr“ - unter diesem Namen performen Verena und Klaus Urban ihre Beiträge.
Wir dürfen hier vorab schon auf den Wortwechsel schauen; dabei sind die Texte farbig unterlegt: Blaue Teile werden gemeinsam gesprochen, schwarz spricht der alte Mann und Rot ist „Das Mehr“.<
Wachen? Träumen?
Schon Shakespeares Hamlet war sich nicht ganz sicher, ob das Leben vielleicht nur ein Traum sei. Mir träumte, ich sei ein Schmetterling, und jetzt weiß ich nicht mehr, bin ich ein Mensch, der von einem Schmetterling geträumt hat oder umgekehrt. Träume nicht dein Leben, lebe deinen Traum, hieß es in bewegten Zeiten. Karoline von Günderrode (1780 bis 1806), eine deutsche Dichterin der Romantik, spürte sogar einen
„Kuss im Traume“:
„Es hat ein Kuss mir Leben eingehaucht,
Gestillet meines Busens tiefstes Schmachten.
Komm, Dunkelheit! mich traulich zu umnachten,
Dass neue Wonnen meine Lippe saugt.
In Träume war solch Leben eingetaucht,
Drum leb' ich, ewig Träume zu betrachten,
Kann aller andern Freuden Glanz verachten,
Weil nur die Nacht so süßen Balsam haucht
Der Tag ist karg an liebesüßen Wonnen,
Es schmerzt mich seines Lichtes eitles Prangen
Und mich verzehren seiner Sonne Gluthen.
Drum birg dich Aug' dem Glanze ird'scher Sonnen!
Hüll' dich in Nacht, sie stillet dein Verlangen
Und heilt den Schmerz, wie Lethes kühle Fluten.“
Albert Einstein hat das Wort!
Auch er kommt bei der Konzertlesung am 19.1.23 im Ratskeller zu Wort. Er hat nicht nur die Physik geprägt, sondern auch die Weltanschauung der Menschen beeinflusst. Mit seinem moralischen Feingefühl äußerte er sich in vielen Zitaten auch über die hässlichen Seiten der Menschheit und über Kriege: „Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen. Was mich erschreckt, ist nicht die Zerstörungskraft der Bombe, sondern die Explosionskraft des menschlichen Herzens zum Bösen. Der Mensch erfand die Atombombe, doch keine Maus der Welt würde eine Mausefalle konstruieren. Die Rüstungsindustrie ist eine der größten Gefährdungen der Menschheit. Es ist einfacher, radioaktives Plutonium zu entsorgen als das Böse im Menschen. Heldentum auf Kommando, sinnlose Gewalt und die leidige Vaterländerei, wie glühend hasse ich sie, wie gemein und verächtlich erscheint mir der Krieg; ich möchte mich lieber in Stücke schlagen lassen, als mich an einem so elenden Tun beteiligen!“
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Lasst uns das Jahr mit Heinrich Heines Gedicht „Deutschland – ein Wintermärchen“ beginnen:
„Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder -
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!“